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Von der Hoffnung zu erzählen, ist die ureigene Sache der Kirche.

Foto: Bremische Evangelische Kirche

Nach 13 Jahren im Amt des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gibt der Theologe Renke Brahms nun den Staffelstab weiter. Seine Bilanz fällt in bewegte Zeiten, für die Kirche und die Welt. Ein Gespräch.

WerteJahre: Herr Brahms, welche drei Stichworte fallen Ihnen zu 13 Jahren im Amt des EKD-Friedensbeauftragten ein?
Renke Brahms: „Afghanistan“, „Vorrang für zivil“, „Ökumene“. Das Thema Afghanistan hat mich während der Friedensbeauftragung immer beschäftigt – intensiv zu Beginn nach der Äußerung der damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, „nichts ist gut in Afghanistan“, und intensiv in den letzten Wochen angesichts des Versagens gegenüber den Ortskräften aus den Bereichen Bundeswehr genauso wir aus der Entwicklungszusammenarbeit und den Nicht-Regierungsorganisationen.
„Vorrang für zivil“ ist Grundtenor der friedensethischen Grundlegung der EKD und heißt, dass vor oder auch statt jeder Erwägung eines militärischen Einsatzes zivile und politische Mittel Vorrang haben. So hat es die Denkschrift der EKD von 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ formuliert. Ich habe mich immer als Botschafter dieser Denkschrift verstanden.

WerteJahre: An dritter Stelle kam die „Ökumene“.
Brahms:
Ich hatte das Privileg, bei verschiedenen Versammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen dabei gewesen zu sein und habe gelernt, über den deutschen Tellerrand sowohl im Hinblick auf die Kirchen als auch die Politik hinauszublicken.

WerteJahre: Das ist eine gute Überleitung. Hier kommen noch einmal drei Stichworte: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, das waren vor über 40 Jahren die Kernanliegen des ökumenisch aufgestellten, konziliaren Prozesses. Mittlerweile haben die UN-Nachhaltigkeitsziele diese Anliegen aufgegriffen und säkularisiert. Ist der konziliare Prozess altmodisch geworden?
Brahms: Wir können eher mit Dankbarkeit feststellen, dass die Grundgedanken des konziliaren Prozesses in die Politik eingegangen sind. Das ist auch ein Erfolg der weltweiten ökumenischen Bewegung. Wir sehen heute noch deutlicher als früher, wie eng die drei Themen zusammenhängen. Der Klimawandel führt zu großer Ungerechtigkeit, zu Armut, zu Migration und damit auch zu Konflikten. Insofern ist der Dreiklang des konziliaren Prozesses heute so aktuell wie eh und je. Wenn heute von „Nachhaltigkeit“ die Rede ist, ist dies zwar die säkulare Bezeichnung, entspricht aber genau dem Ansatz einer Friedensethik, die auch an säkulare Sprache anschlussfähig sein muss. Mit „Bewahrung der Schöpfung“ halten wir in der Kirche aber eine besondere Verantwortung vor Gott fest und auch die Hoffnung, dass Gottes Geist uns Bewegung setzt, um diese Schöpfung zu bewahren.

WerteJahre: Wie könnte Kirche ihre Kompetenz dabei neu artikulieren?
Brahms: Mir geht es darum, mit Taten zu überzeugen und davon zu reden. Die Kirche hat – motiviert durch den konziliaren Prozess – erhebliche Anstrengungen unternommen, um z.B. mit ihren Gebäuden und Organisationen klimaneutral zu werden, öko-fair einzukaufen und alle Geldanlagen ethisch auf Nachhaltigkeit zu prüfen. Die Friedensarbeit hat sich stark professionalisiert. Friedensfachkräfte werden ausgebildet, heute sind es mehrere kirchliche Organisationen, die im Konsortium Ziviler Friedensdienste aktiv sind und konkrete Friedensarbeit in vielen Ländern und Konflikten leisten. In Partnerschaften und den vielen Projekten von Brot für die Welt wird ein Beitrag zu ehr Gerechtigkeit geleistet.

WerteJahre: Die evangelische Kirche war immer eine Säule der Debattenkultur der Zivilgesellschaft. Die Bedeutung hat sie in den zurückliegenden 30 Jahren stark eingebüßt, einhergehend mit dem Verlust religiöser Sprachfähigkeit unserer Gesellschaft. Wie lässt sich Frieden heutzutage theologisch wieder in Worte fassen?
Brahms: Die Evangelische Kirche ist ein Teil der Zivilgesellschaft, wird aber immer noch in Gesellschaft und Politik gehört. Deutlich ist aber auch geworden, dass die Kirche nur in Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen Erfolg für ihre Themen und Anliegen hat. Die Evangelischen Akademien oder der Evangelische Kirchentag bilden immer noch Plattformen für wichtige gesellschaftliche Debatten. Dabei muss es der Kirche immer darum gehen, auf der Höhe des fachlichen Diskurses zu sein und zugleich den besonderen Auftrag der Kirche einzubringen. Frieden ist ein Kernthema der Bibel, des Glaubens und der Kirche. „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ heißt es in der Weihnachtsgeschichte. Was immer wir für den Frieden tun: Dass Gott uns seinen Frieden schenkt, motiviert und leitet uns. Von der Hoffnung zu erzählen, ist dabei die ureigene Sache der Kirche.

WerteJahre: An welcher Stelle unserer Gesellschaft in Deutschland sollte sich Kirche mehr zu Wort melden und wie?
Brahms: Da gibt es so viele Themen! Ich nenne einmal zwei: Es geht einerseits um den inneren Frieden, den Frieden in unserer Gesellschaft. Mutig gegen Ausgrenzung, populistische Strömungen, gegen Radikalismus, Fundamentalismus, Hass und Antisemitismus zu arbeiten und zu sprechen, ist eine wichtige Aufgabe für uns als Kirche in dieser Gesellschaft. Andererseits geht es mir um eine klare Haltung gegenüber immer noch weit verbreiteten Meinungen, Konflikte mit Gewalt lösen zu können. Gerade die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan und Mali zeigen doch, dass das ein Irrweg ist. Deshalb sind nicht Aufrüstung und mehr Militär der richtige Weg, sondern mehr Fantasie für gewaltfreie Konfliktlösungen und eine Orientierung an der Bekämpfung der Ursachen von Konflikten.

WerteJahre: Hat Kirche heute eher die Rolle einer Friedensstifterin oder soll sie – im Gegenteil – Debatten ermutigen, weil sie demokratisch und evangelisch sind?
Brahms: Beides. Debatten anzuregen und sich daran zu beteiligen, ist eine wichtige demokratische Aufgabe, der sich auch die Kirche stellen sollte. Wir nehmen ja in Wahlkämpfen wahr, dass Außenpolitik kaum eine Rolle spielt. Wir brauchen aber z.B.  dringend eine kritische, unabhängige Auswertung des Afghanistan-Einsatzes, um zu prüfen, in welcher Weise Deutschland seiner Verantwortung für die Welt in Zukunft wahrnehmen sollte. Es ist aber genauso wichtig, dass die Kirche in ihrer Sprache und Haltung, in konkreten Zusammenhängen Frieden stiftet. Das geschieht in konkreten Nachbarschaften, wenn Gemeinden Raum für schwierige Auseinandersetzungen bieten, sich für Migrant*innen einsetzt oder „Friedensstifter*innen“ für Schulen oder Gemeinden ausbildet. Es geschieht im gesellschaftlichen Diskurs, aber auch auf der Kanzel oder in Verlautbarungen der Kirche.

WerteJahre: „Suche Frieden und jage ihm nach“, wem würden Sie dieses Bibelwort zuerst zurufen und warum?
Brahms: Einer neuen Bundesregierung! Es kommt in den kommenden Jahren tatsächlich sehr darauf an, dass die entscheidenden Weichen zu mehr Klimagerechtigkeit und Klimaschutz gestellt werden, dass die internationale Politik auf Entspannung setzt und nicht auf militärische Stärke, und dass die Ursachen der weltweiten Ungerechtigkeit bekämpft werden. Aber natürlich rufe ich sie auch mir und meiner Kirche zu, damit wir uns nicht in Kürzungs- und Strukturdebatten verlieren, sondern den Frieden Gottes als Zusage und als Aufgabe im Blick behalten.

WerteJahre: Mit wem oder was haben Sie zuletzt Ihren Frieden gemacht?
Brahms: Mit meiner Arbeit! Bei meiner Entpflichtung in den Ruhestand hieß es in einem Gebet: „Wir bitten dich: Lass seine Mühe nicht vergeblich sein. Wandle in Segen, was nicht gelungen ist, und vergib, was er schuldig geblieben ist.“ Ich weiß, dass ich in meiner Arbeit an Menschen schuldig geworden bin oder ihnen etwas schuldig geblieben bin. Damit meinen Frieden machen zu können, weil Menschen so für mich beten, empfinde ich als großes Privileg meines Glaubens.

Interview: Dr. Tanja Kasischke

ZUR PERSON: 2008 berief der Rat der EKD erstmals einen Friedensbeauftragten. Pastor Renke Brahms (Jg. 1956) aus der Bremischen Evangelischen Kirche repräsentierte seitdem die Friedensarbeit im Raum der EKD und äußerte sich zu Friedensfragen in der Öffentlichkeit. 2015 wurde sein Auftrag um sechs Jahre verlängert. Seit August 2019 ist Brahms theologischer Direktor der Wittenberg-Stiftung. Als Friedensbeauftragter stand er der Konferenz für Friedensarbeit in der EKD vor, der die Friedensbeauftragten aller Landeskirchen sowie Vertreter*innen von Friedensorganisationen und kirchlichen Trägern der Friedensarbeit angehören. Im Zuge der im Herbst 2021 vorgesehenen Neuwahl des EKD-Rates wird auch über die Nachfolge des Friedensbeauftragten entschieden.