Würde in progress: Mit der Kinderrechtskonvention ging die Arbeit erst los
Seit 30 Jahren gilt die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, trotzdem werden die Rechte und die Würde junger Menschen nicht selbstverständlich mitgedacht und „gewürdigt“. Dieser Aufgabe stellt sich die Monitoringstelle UN-Kinderrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte, sie begleitet den Prozess und berät staatliche und gesellschaftliche Einrichtungen, Kinderrechte einzuhalten. Ihre Leiterin Claudia Kittel reflektiert im Interview, wo wir stehen.
PNJ: Vor 30 Jahren hat Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Würde des Kindes zweimal (1968 und 2008) bestätigt. In Deutschland ist also nicht die Verfügbarkeit von Kinderrechten das Problem, sondern das Bekenntnis zu ihrer Anwendung. Warum ist das so?
Claudia Kittel: Dieses Fazit kann ich so nicht teilen. Als Deutschland vor 30 Jahren die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat, da hat man angenommen, dass das für Deutschland keine weiteren Folgen nach sich ziehen würde. In der Denkschrift im Bundesgesetzblatt steht in etwa, dass man keinerlei Anlass sehen würde, im innerstaatlichen Recht nun etwas ändern zu müssen. Da dachte man, sie kämen nicht zur Anwendung, weil eh schon alles so ist, wie es die Konvention fordert. Dieser Zahn wurde der damaligen Regierung dann schnell gezogen. Kinderrechtsorganisationen machten schnell deutlich, dass es da auch in Deutschland noch einiges zu tun gibt. Meine Rechte sind für mich als Mensch ja nur verfügbar, wenn ich sie auch kenne und wenn ich einen Zugang zu Rechtsmitteln habe, um mich gegen Verletzungen meiner Rechte wehren zu können. An beiden Punkten sehe ich noch Probleme hinsichtlich der Verfügbarkeit der Kinderrechte für Kinder und Jugendliche in Deutschland, insbesondere für bestimmte Gruppen von Kindern, die aber ja alle die gleichen Rechte haben sollten.

PNJ: Können sich Kinder an Sie am Institut für Menschenrechte wenden?
Claudia Kittel: Nein, Kinder und Jugendliche können sich leider nicht an uns wenden. Wir machen Monitoring. Das heißt, wir beobachten und bewerten unabhängig und kritisch, wie die Kinderrechte in Deutschland umgesetzt werden. Dazu schauen wir uns neue Gesetze an und nehmen dazu Stellung, wir werten Studien zu Kindern und Jugendlichen aus und wenn es keine Studien zu einem Thema gibt, dann forschen wir auch selbst. Dabei bemühen wir uns, möglichst auch mit Kindern und Jugendlichen oder deren Interessensvertretungen zu sprechen. Wir haben aber noch eine andere Rolle: Wir erklären in erste Linie erwachsenen Verantwortlichen in Politik, Verwaltung oder z.B. Kindertageseinrichtungen, welche Verpflichtungen in der UN-Kinderrechtskonvention für diese Stelle stehen und wie sie die Kinderrechte verwirklichen kann.
PNJ: 2021 stand die Bundesregierung davor, Kinderrechte dauerhaft im Grundgesetz zu verankern. Im Koalitionsvertrag der „Ampel“ steht das Vorhaben noch einmal drin, glauben Sie daran?
Claudia Kittel: Es wäre naiv anzunehmen, dass es nun einfach so gelingen würde. Denn für eine Änderung des Grundgesetzes braucht es immer eine Zweidrittelmehrheit. Es ist erfreulich, dass die Koalitionsparteien sich so eindeutig zu den Kinderrechten bekannt haben – ob die notwendige Mehrheit dann aber erreicht wird, wage ich zu bezweifeln. Das Verrückte dabei ist, dass die UN-Kinderrechtskonvention ja jetzt schon geltendes Recht ist. Eigentlich müssten wir gar nicht mehr diskutieren, wie viel Beteiligungsrechte Kinder und Jugendliche bekommen sollen. Das war auch die Schwäche des Regierungsentwurfes in 2021. Der hätte nämlich die vorhandenen Beteiligungsrechte in Frage gestellt. Das wäre dann ein Rückschritt gewesen. Von daher haben wir eigentlich sogar aufgeatmet, als dieser Entwurf scheiterte.
PNJ: Was wäre die Alternative zu Artikel 6?
Claudia Kittel: Das Aktionsbündnis Kinderrechte – bestehend aus Deutschem Kinderhilfswerk, Deutschem Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland und der Deutschen Liga für das Kind – hat schon vor vielen Jahren einen Entwurf vorgelegt, bei dem die Kinderrechte in einem Artikel 2 des Grundgesetzes verortet würden. Ein durchaus geeigneter Ort, wenn Sie mich fragen.
PNJ: Würde ist auch eine Frage der Ethnie. Lassen sich in unserer vielfältigen Zivilgesellschaft überhaupt Vereinbarungen treffen, wenn von vorneherein ein Teil der Bevölkerung sagt: „Damit kann ich mich nicht identifizieren“?
Claudia Kittel: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Die Vereinten Nationen haben mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor vielen Jahren den internationalen Konsens zur Würde des Menschen festgehalten. Und die Vereinten Nationen sehen sich da durchaus immer wieder der Kritik gegenüber, dass hier die Werte der „nördlichen Halbkugel“ vertreten worden seien. Wenn ich mit Kitas zu den Kinderrechten arbeite sehe ich allerdings immer wieder, dass die Menschenrechte eine gute gemeinsame Basis sein können. Besser jedenfalls, als wenn einfach nur die Mehrheit die Vereinbarungen für das Miteinander bestimmt.
PNJ: Nicht einmal 20 Prozent der Minderjährigen in Deutschland kennen ihre Rechte. Hilft eine Kinderrechtsbeauftragte auf Landkreis- oder Länderebene, das zu ändern?
Claudia Kittel: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die wenigstens schon mal gehört haben, dass es Kinderrechte gibt, ist erfreulicher Weise höher und liegt immerhin bei ca. 60 Prozent. Zusammen mit denen, die sich da gut auskennen, kommt man da schon über 75 Prozent. Eine systematische Information aller Kinder und Jugendlichen, möglichst schon in der Kita, wäre ein guter Weg, daran etwas zu ändern. Kinderbeauftragte helfen auch. Das ist zumindest das Fazit aus dem internationalen Monitoring. Unsere europäischen Nachbarländer haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Kinderbeauftragten sind allerdings nicht nur für die Bekanntmachung zuständig, sondern vor allen Dingen dafür, immer wieder die Einhaltung der Kinderrechte, beispielsweise in der Landesregierung von allen (!) Ressorts einzufordern zu dürfen.

PNJ: Schaut man in die institutionelle Förderung, werden Kinder und Jugendliche eher benachteiligt. Wo ansetzen, um die gesellschaftliche Haltung zu ändern und den Fokus auf den Wert und die Würde der jungen Generation zu lenken?
Claudia Kittel: Ich bin Sachverständigenvorsitzende im Projekt „kinderfreundliche Kommune“ von UNICEF Deutschland und dem Deutschen Kinderhilfswerk. Dort beschäftigen wir uns gerade mit der Frage einer kinderrechtsbasierten Haushaltsplanung auf der kommunalen Ebene. Die Kinderrechtskonvention sieht nämlich in Artikel 4 vor, dass die Staaten auch einen entsprechenden Einsatz für Kinderrechte mit Blick auf finanzielle Ressourcen legen müssen. Da steckt meines Erachtens viel Zukunftsmusik drin. In meiner Idealvorstellung müssten dann künftig diejenigen, die Kinder und Jugendliche immer noch nicht beteiligen, obwohl es dafür ausreichend Mittel gibt, die elendigen Verwaltungsvermerke zur Begründung schreiben und nicht mehr diejenigen, die das eh schon machen.
Interview: Dr. Tanja Kasischke
Es wird immer wieder Verstöße gegen die Kinderrechte geben. Die Frage ist, wie der Staat reagiert. Ob er Kinder und Jugendliche in ihrem Gefühl, dass ihnen Unrecht widerfahren ist, bestätigt – oder aber sie allein lässt. Die Vereinten Nationen haben aus ihrem internationalen Monitoring einen guten Überblick, welche Maßnahmen am besten dazu beitragen, Kinderrechte zu stärken und sie anwendbarer, oder: durchsetzungsfähiger zu machen:
(1) Informationen über die Kinderrechte. Jedes Kind und jeder Jugendliche sollte am besten schon in der Kita erfahren, welche Rechte ersie*es hat. Eltern, Fachkräfte und alle Menschen in staatlichen Stellen wie beispielsweise der Verwaltung sollten es auch wissen.
(2) Unterstützung. Kinder und Jugendliche sollten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt werden; beispielsweise indem es ihnen ermöglicht wird, sich zusammenzuschließen und gemeinsam ihre Meinung kundzutun. Ein solches, förderliches Umfeld wäre die richtige Reaktion, etwa auch auf die Fridays for future Demonstrationen.
(3) Beschwerdemöglichkeiten. Kinder und Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben sich an sogenannten Beschwerdestellen zu wenden, die mittels kindgerechter Verfahren Beschwerden entgegennehmen und diese auch nachverfolgen dürfen.
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