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„Wir haben die Pflicht, zu bleiben!“

Während des Zoom-Gesprächs geht ein heftiges Gewitter über Köln nieder. Ein Donnerwetter, das zum Thema passt: Warum behandelt die katholische Kirche Frauen – noch immer – unter Würde? Claudia Lücking-Michel beobachtet: „Weil Kirche sich nicht im selben Maße wie die Gesellschaft verändert.“

Katholische Frauen dürfen kein geweihtes Amt antreten und haben so keine Mitsprache in leitender Instanz der katholischen Kirche. 2018 ging die Bewegung Maria 2.0 einen Schritt, den es zuvor noch nie gegeben hatte: den Kirchenstreik. Die Frauen forderten, Kirche auf allen Ebenen mitzugestalten, eben auch als Diakoninnen und Priesterinnen. Seitdem ist die Deutsche Bischofskonferenz in Zugzwang, ihren synodalen Weg konsequent umzusetzen. Das schmeckt nicht jedem Mandatsträger. Vor allem macht es Druck in Zeiten schwindender Mitgliederzahlen und tiefgreifender inhaltlicher Zäsuren. Ein freiwilliges Bekenntnis, Frauen gleichberechtigt einzubeziehen, sieht anders aus.

Foto: Christoph Seelbach

Claudia Lücking-Michel, langjährige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), sieht Maria 2.0 „als eine große Hilfe und einen sehr markanten Mosaikstein“ im Umgang mit der historisch gewachsenen Frauenfeindlichkeit der Kirche. „Frauen haben nicht die gleiche Würde in der katholischen Kirche. Das hängt mit deren quasi sakrosanktem Geschlechterverständnis zusammen, das Frauen benachteiligt und Männer stabilisiert – bis hin zur theologischen Immunisierung.“ Hatte die Zivilgesellschaft der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten Rollenbilder beständig hinterfragt und modernisiert, stand diese Entwicklung in der Kirche nicht zur Disposition. Erstaunlich genug beim bundesweit zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat.

Noch irritierender ist, dass die Frauen erst mit Maria 2.0 offensiv streikten, obwohl ohne sie kirchliches Leben, zum Beispiel im ländlichen Raum, längst erloschen wäre. 70 Prozent aller Kirchenehrenamtlichen sind Frauen. Die Franziskanerin Schwester Katharina Ganz äußerte bei einer Papstaudienz 2016, ob es angesichts der veränderten Lebenswirklichkeit nicht Zeit sei, pastorale Strukturen neu zu verhandeln? Papst Franziskus reagierte zurückhaltend und empfahl den Frauen sogar eher, eine neue Kirche zu gründen, wenn sie keine Geduld mit Reformen hätten.

Gehen statt bleiben, genau das möchten viele Katholikinnen nicht. Ihr Bekenntnis ist Teil ihrer Identität. Ein prominentes Beispiel ist die Kölner Künstlerin Carolin Kebekus. Sie gibt an, aus der katholischen Kirche ausgetreten aber katholisch getauft zu sein: „Ich habe Probleme mit der Institution, ihren Strukturen und Machtverhältnissen. Deshalb bin ich aus der Kirche ausgetreten. Aber der Gemeinschaft von Gläubigen fühle ich mich zugehörig“, sagte sie in einem Zeitungsinterview im März 2022. Auch Claudia Lücking-Michel sagt über die Einlassung des Papstes: „Das kann er nicht wirklich ernst gemeint haben. Frauen wollen Teil der Kirche bleiben, weil Kirche eine wohltuende Gemeinschaft ist, in deren Raum Mitgliedsein bedeutet, Teil zu haben an der Fülle des Lebens und der Verheißung vom Reich Gottes. Frauen, die der Kirche angehören, wissen um diese Hoffnung und sind damit glücklich. Wenn sie austreten, verbindet sich damit häufig keine Abkehr vom Glauben.“

Dementgegen fasse die Kirche die Rechte der Frauen noch immer so auf, als seien sie eine Minderheit oder ein Problemfall. Claudia Lücking-Michel verweist auf das Papier der deutschen Bischofskonferenz von 1981 zu „Frauen und Kirche“. „Es beschreibt die katholische Kirche als Rollenmodell für das Verhältnis der Geschlechter in unserer Gesellschaft. Aber so wie Kirche zur Zeit auftritt kann ich nur sagen: Bitte nicht!“

Die pastorale Gleichberechtigung hieße vielleicht sogar, Kirche organisch statt unter Strukturzwang zu verändern. „Frauen dürfen nicht nachlassen, gleiche Rechte für sich in der Kirche einzufordern. So wie sie Grundrechte einfordern. Niemand in Deutschland käme auf die Idee, einer Frau ihre Grundrechte abzusprechen. Niemand würde in einem beliebigen Kontext der Zivilgesellschaft die Benachteiligung von Frauen hinnehmen.“

Dass Veränderung schnell ist und iterativ, damit umzugehen, muss Kirche behutsam lernen dürfen – „dafür ist sie auf den Schatz aktiver Frauen angewiesen“. Streiken und Glauben, passt das zusammen? „Ja! Denn Glauben und die glaubende Kirche sind nichts Beliebiges, sondern Ausdruck einer Gemeinschaft, die ein Schatz ist. Wir haben die Pflicht, zu bleiben und Zeuginnen zu sein für unsere Botschaft des Evangeliums, auch für die Menschen, die sich nicht mehr sonntags unter der Kanzel versammeln, oder es noch nie getan haben.“

Text: Dr. Tanja Kasischke

Zur Person: Claudia Lücking-Michel, Jg. 1962, Theologin und Politikerin, war von 2013 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags und von 2005 bis 2021 stellvertretende Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Seit 2021 ist sie Geschäftsführerin von Agiamondo, einem Dienstleister für katholische Hilfsorganisationen im Entwicklungsdienst mit Sitz in Köln.