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Gibt es beim Klimaschutz einen Generationenkonflikt?

Rüdiger Maas berichtet aus der Sicht der Generationenforschung

Oft wird der älteren Generation Versagen im Kampf gegen den Klimawandel vorgeworfen. Die Omas for Future wollen das ändern – mit Kampfgeist stehen sie an der Seite der jungen Generation und setzen sich für die Klimaziele ihrer Enkel ein.

Um Punkt 18 Uhr wird es laut: Katharina Dietze steht am Rande der überschaubaren Gruppe, die sich am Brandenburger Tor versammelt hat. Sie jubelt und klatscht, als 60 Menschen auf vollgepackten Fahrrädern anrollen. Bunte Bänder wehen im Wind an den Fahrrädern, die gerade 16 Tage von Oldenburg „ohne Kerosin nach Berlin“ gefahren sind. Mit der Siegessäule im Hintergrund radelt die Gruppe auf eine Bühne mit einer großen Fahne zu: „Berlin 4 Future“ steht darauf in handgemalten grünen Buchstaben. Dietze ruft: „Lauter!“ Der Redner auf der Bühne ist durch den Jubel kaum zu hören. „Hier sind alte Leute“, fügt die 67-Jährige schmunzelnd hinzu.

Foto: Markus Spiske auf unsplash

Katharina Dietze ist selbst gerade mit ihrem Lastenrad auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor angekommen. Sie nimmt ihren silbernen Helm ab, der farblich gut zu ihren Haaren passt. Um den Hals trägt sie ein großes Herz-Schild mit den Worten „Omas for Future“. Heute verteilt sie Flyer für die sogenannte Klimabändchen-Kampagne. Auf dem Wäschebrett, das Dietze in ihrem Lastenrad zum Brandenburger Tor transportiert hat, kann jeder seine Klimawünsche auf ein farbiges Stoffband schreiben. „Lärm reduzieren“ oder „Autofreie Stadt“ steht auf den Bändern von Claus Nachtwey. Der 70-Jährige, der eine Regenbogenmaske trägt, hat seit 25 Jahren kein Auto mehr. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil meine Generation schon so viel vom CO2-Budget verbraucht hat“, sagt er.

Wenn es um den Klimawandel geht, wird oft von einem Generationenkonflikt gesprochen. Die Älteren tun nicht genug für die Umwelt – sie haben zu viel Zeit vergeudet und geben nun die Last des Klimawandels an ihre Enkel weiter. Aber hier an diesem Stand kommen Alt und Jung zusammen. Und obwohl jemand auf der Bühne gerade vom „Mord an der jüngeren Generation“ spricht, ist von einem Generationenkonflikt nichts zu spüren. „Ich bin nicht wütend auf die ältere Generation“, sagt eine 26-Jährige, die auch ihre Klimawünsche aufschreiben will. „Denn es sind immer die, die etwas verändern könnten, die nicht hier bei uns sind. Das tiefe Unverständnis geht an die Konzerne, die Politiker, die großen Player.“ Dass die Omas und Opas for Future hier sind, zeige, „dass das nicht nur ein Thema für die junge Generation ist, sondern für alle“.

Gibt es wirklich einen Generationskonflikt?

Eine Umfrage zeigt allerdings, dass die Gruppe, die sich an diesem sonnigen Montag Ende August um den Wäscheständer versammelt, in der Minderheit ist. Die Erhebung im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) besagt: Je älter die Menschen, desto weniger wichtig sind ihnen die Klimaschutzinteressen der jüngeren Generation für ihre Wahlentscheidung. In Dietzes Altersgruppe – den über 65-Jährigen – orientieren sich nur 30 Prozent bei ihrer Wahlentscheidung an den Klimainteressen der jüngeren Generationen. Ähnlich sieht es bei den 50- bis 64-Jährigen aus: 30,4 Prozent. Dann folgt ein kleiner Sprung, rund 36 Prozent der 40- bis 49-Jährigen lassen sich bei ihrer Wahlentscheidung von den Klimainteressen der Jüngeren beeinflussen. Bei den 30- bis 39-Jährigen sind es knapp über 40 Prozent.

Generationenforscher Rüdiger Maas (Foto: privat)

Aber wo ist dieser Konflikt auf den Straßen Berlins, wenn die Omas und Fridays for Future gemeinsam auf Dietzes Wäschebrett Klimawünsche aufschreiben? Generationenforscher Rüdiger Maas sagt, es gibt keinen. Der Psychologe erforscht die Unterschiede zwischen Generationen und sieht eher ein Kommunikationsproblem beim Klimawandel. „Ein Konflikt braucht zumindest die gleiche Sprachebene. Aber inzwischen lässt sich vieles gar nicht mehr richtig übersetzen“, sagt Maas. Die digitale Fridays-For-Future-Generation und die analoge 68er-Generation hätten zwar die gleichen Ziele, wollen aber unterschiedlich dorthin gelangen.

Der Mann von Katharina Dietz ist gerade mit den beiden Enkelkindern angekommen. Der 71-Jährige lässt die Kinder kurz herumtoben und nimmt einen Stapel Flyer mit, um für die Klimabändchen-Kampagne seiner Frau zu werben. Klaus Dietz ist ein geübter Aktivist, er war schon in der Studentenbewegung der 60er Jahre aktiv. Und wie seine Frau nimmt er seine Verantwortung für die nächste Generation beim Thema Klimawandel sehr ernst. Aber er sieht die Klimabewegung nicht ohne Bedenken: „Ich habe ein bisschen Angst, dass wir über das Ziel hinausschießen“, sagt er. Er macht sich Sorgen über die finanziellen Auswirkungen radikaler Klimaschutzmaßnahmen. Darin ist er auch nicht alleine, sagt Generationenforscher Maas: „Während die Älteren sicher ankommen wollen, sagen die Jüngeren, es muss so schnell wie möglich gehen.“

Wie Maas sieht auch Claudia Kemfert nicht unbedingt einen Generationenkonflikt. Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung spricht lieber von einem Informationsproblem. „Wenn man der Generation ein breites Wissen über den Stand der Wissenschaft zum Thema Klimawandel und Klimaschutz vermitteln würde, würde sie ganz anders reagieren“, sagt sie. Sie hat das selbst schon oft erlebt, dass vor allem ältere Menschen nach ihren Vorträgen auf sie zukommen und sagen: „wir haben bisher nicht gewusst, wie ernst die Lage ist“. So auch zuletzt beim Klimabürgerrat, wo sehr umfassende Vorschläge für mehr Klimaschutz erarbeitet wurden. „Jetzt wissen wir Bescheid. Jetzt sind wir voll dabei“, sagten sie danach, so Kemfert.

Bei Dietze war es so weit, als sie 1983 Mutter von Zwillingen wurde. „Mein Blickfeld hat sich durch die Verantwortung für die nächste Generation erweitert“, sagt sie nach der Demonstration in einem Café. Drei Jahre zuvor hatte sie ihren Mann Claus kennengelernt. Er schenkte ihr das Buch „Global 2000“, eine Umweltstudie, die 1977 von US-Präsident Jimmy Carter in Auftrag gegeben worden war. Das Wissen sei also schon früh dagewesen, sagt Claus Dietze und isst die Speckwürfel, die von den Bratkartoffeln seiner Frau übrig geblieben sind. Auch für ihn hat sich das Bewusstsein für die Umwelt verstärkt, als die Kinder kamen.

Das hat auch Moritz Heß in seiner Forschung erkannt: „Die Solidarität innerhalb der Familie ist sehr, sehr stark.“ Vor allem Eltern und Großeltern nehmen das Thema wegen der Kinder sehr ernst. Von einem Generationenkonflikt beim Thema Klimawandel geht der Professor für Gerontologie an der Hochschule Niederrhein daher nicht aus. „Die Solidarität zwischen den Generationen ist größer als der Konflikt zwischen den Generationen.“

Am Brandenburger Tor beweist sich diese These an jeder Ecke. „Ich finde, es lohnt sich nicht, einen Generationenkonflikt daraus zu machen, denn wir können es nur gemeinsam schaffen“, sagt Mirjam, die zu den 60 Menschen gehört, die gerade 16 Tage lang von Norddeutschland nach Berlin geradelt sind. Gerade im Hinblick auf die anstehende Wahl sieht die 23-Jährige einen Grund, keinen Keil zwischen die Generationen zu treiben: „Ohne die älteren Generationen schaffen wir keine Mehrheiten.“

Ohne Omas keine Mehrheit

Demografisch gesehen hat die jüngere Generation in Deutschland tatsächlich keine Chance, ihre Ziele bei der Wahl allein zu erreichen. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist älter als 40 Jahre – die Wahlberechtigten unter 40 Jahren machen nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus.

Obwohl Katharina Dietze eigentlich nur von Menschen umgeben ist, die der NABU-Umfrage nicht entsprechen, nimmt sie selbst sehr wohl einen Konflikt der Generationen wahr: „Die Haltung der Älteren ist arrogant“, sagt sie. Sie hätten eine Selbstgefälligkeit im Alter erreicht und „nehmen Kinder nicht ernst“. Dietze findet, es sollte umgekehrt sein: Die ältere Generation sollte von der jüngeren Generation lernen wollen. Ihr Sohn ist gerade dabei, ihre beiden Enkelkinder in den Fahrradanhänger zu packen. Es war ein langer Tag mit Oma und Opa bei der Demonstration. „Die beste Erfahrung für mich ist, dass ich von meinen Kindern etwas lernen kann“, sagt sie und winkt der Familie hinterher.

Als sie später ebenfalls nach Hause fährt, sagt sie noch, dass sie nicht direkt Angst um die Zukunft ihrer Enkelkinder habe, dass aber endlich etwas getan werden müsse. Sie spricht von einer Initiative namens „Schenk mir deine Stimme, Oma“. Omas und Opas sollten ihren Enkeln ihre Stimme geben und in deren Interesse wählen, meint Katharina Dietze. „Die ältere Generation ist völlig uneinsichtig“, sagt sie, aber mit diesem Ansatz könnten ältere Menschen „wirklich bewusst etwas anders machen“.

Nach-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Generationenforschung, Original-Quelle: n-tv