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Heike Brandt

„Wenn ich Gewalt beenden will, muss das grundsätzlich gewaltfrei geschehen.“ Heike Brandt setzt sich in ihrem Roman „Der tote Rottweiler“ mit einem wichtigen Punkt der Friedensdebatte auseinander: Waffen, bzw. Ursachen von Krieg und Gewalt. „Jugendliche gegen die Rüstungsindustrie“ könnte ihr Buch ebenso überschrieben sein. Im Interview lässt sie uns an der Entstehungsgeschichte teilhaben.

Foto: Anna Schroll

„Frieden schaffen ohne Waffen“ ist ja quasi der Slogan Ihres Jugendromans „Der tote Rottweiler“. Was bedeutet Frieden für Sie?

Gute Frage … Wahrscheinlich zunächst einmal die Abwesenheit von Gewalt; also, als Grundvoraussetzung. Vielleicht bedeutet es außerdem, gemeinsam Lösungen für anstehende Probleme zu finden. Und natürlich kann es nur Frieden geben, wenn es keine Ausgrenzung gibt und alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben.

 

Wie kamen Sie dazu, dieses Buch zu schreiben? Was hat Sie inspiriert?

Ich habe vor über zehn Jahren eine Zeitungsnotiz gelesen: Ein 12-jähriger Junge hat seine Eltern erschossen. Das hat mich sehr bewegt. Was muss passieren, damit ein Kind sich nicht anders zu helfen weiß? Warum hatte der Junge Zugang zu einer Waffe? Was müsste geschehen, damit Waffen nicht so leicht oder vielleicht gar nicht verfügbar sind, ja nicht einmal mehr produziert werden? Was kann ich als einzelner Mensch dazu beitragen?

Darüber wollte ich schreiben – sicher auch, weil es was mit meiner Lebensgeschichte zu tun hat.

Als sehr junger, politisch engagierter Mensch war ich durchaus bereit, Gewalt, also auch Waffen, als politisches Mittel zu betrachten und einzusetzen, Steine, Molotov-Cocktails, sowas – ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das in eine Sackgasse führt, dass Gewalt nur weitere Gewalt auslöst, dass Gewalt auch die Menschen zerstört, die sie ausüben. Das heißt, wenn ich Gewalt beenden will, muss das grundsätzlich gewaltfrei geschehen. Auch das sollte Thema meiner Geschichte sein.

Und etwa zu der Zeit, als ich das über den 12jährigen Jungen las, erfuhr ich, dass die politische Musikgruppe „Lebenslaute“ ein Konzert vor den Toren des Waffenproduzentens Heckler & Koch gab, um ein Zeichen gegen die Waffenproduktion zu setzen, das war 2012. Ich bin damals nach Oberndorf gefahren, habe an der Blockade der Werkstore teilgenommen und vor Ort Material für die Geschichte gesammelt, die ich schreiben wollte.

 

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

2012 begann der Schaffensprozess in Verbindung mit der Zeitungsnotiz und dem Konzert, dann habe ich etwa zwei,drei Jahre geschrieben. Meine Versuche, das Manuskript Jugendbuch-Verlagen anzubieten, waren erfolglos. Mir war nicht klar, ob das an dem politischen Thema oder an meiner Schreibe lag. Also gab ich einer befreundeten Lektorin mein Manuskript und bat sie um eine Einschätzung. Die Idee, die Geschichte und die Protagonist*innen gefielen ihr gut, aber sie meinte, ich hätte nicht den richtigen Ton gefunden. Zudem schlug sie vor, bestimmte Aspekte/Konflikte weiter auszuarbeiten. Ich habe ihren Rat beherzigt und neu geschrieben. Plot und Personen blieben dieselben, aber ich habe Neues hinzugefügt, vor allem aber die Erzählperspektive gewechselt – und auf einmal stimmte alles. Trotzdem fand ich im Jugendbuchbereich keinen Verlag. Und dann half der Zufall. Ich sah, dass Klaus Farin, den ich schon lange kannte, auch Verleger war, und fragte an. Er mache zwar keine Jugendbücher, meinte er, aber weil ihn das Manuskript überzeugte, wollte er das Buch machen. So fand „Der tote Rottweiler“ im Hirnkost Verlag ein Zuhause und ist dort im September 2021 erschienen. Mit richtig guter Resonanz bislang.

Von der Idee bis zur Veröffentlichung dauerte es also insgesamt etwa zehn Jahre.

 

Diese Utopie einer waffenfreien Welt – wäre das möglich?

Ach wissen Sie, das mit den Utopien … Ich bin jetzt 74 Jahre alt und sehr hin- und hergerissen. Klar, ich träume immer noch von einer friedlichen Welt, ohne Ausbeutung, Gewalt, Elend, Not und Umweltzerstörung, und versuche, optimistisch zu sein – sonst könnte ich die Geschichten, die ich schreibe, nicht schreiben, mit meinen Enkelkindern nicht über Zukunft reden. Es gibt ja auch viele Menschen, überall auf der Welt, die sich dafür einsetzen. Aber wenn ich mir die Welt so angucke, dann kann mich das auch ganz schön hoffnungslos machen. In so vielen Ländern gibt es Krieg, möglich durch die Geschäfte der Waffenproduzenten, die mit ihren starken Lobbys Regierungen unter Druck setzen. Bei uns in Europa gibt es keinen Krieg, aber Menschen, die in unseren satten Ländern Zuflucht oder einfach nur ein besseres Leben suchen, werden wie Feinde behandelt. Und so weiter – wir wissen ja alle, wieviel Elend es gibt, auch in den reichen Ländern.

Um daran was zu ändern, bedarf es einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Form unseres Wirtschafts- und Konsumlebens – beides sollte am Bedarf und den Bedürfnissen der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen und nicht am Profit orientiert sein. Eine andere – vielleicht sogar waffenfreie Welt – kann es nur geben, wenn wir bereit sind, unsere Komfortzonen zu verlassen und grundsätzlich umzudenken, auf vielen Ebenen. 

 

Sie beschäftigen sich auch in anderen Büchern mit Themen wie Frieden, Menschenrechte und Gleichberechtigung, haben Pädagogik studiert und vier Jahre lang in einem Obdachlosennotunterkunft gearbeitet. Hatten Sie schon immer dieses große Interesse an Menschen und den Willen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren?

Schon als kleines Kind hat mich Ungerechtigkeit aufgebracht. Ich weiß nicht warum, aber das hat mich immer bewegt. Am meisten hat es mich geschmerzt und gleichzeitig empört, wenn Menschen Umständen oder anderen Menschen hilflos ausgeliefert waren, wenn sie ausgegrenzt, misshandelt oder getötet wurden, sich aus eigener Kraft nicht wehren konnten. Todesstrafe hat mich erschüttert – da wird doch Mord mit Mord bestraft! An diesem Empfinden hat sich nichts geändert. Auch heute erschüttert es mich, wenn Menschen zum hilflosen Spielball politischer und wirtschaftlicher Interessen werden, zum Beispiel jetzt gerade an der Grenze zwischen Belarus und Polen, unter Missachtung aller Menschenrechte, die sich Europa angeblich auf die Fahnen geschrieben hat.

Ich bin kurz nach dem 2.Weltkrieg geboren, fast alle in meiner Familie hatten das Nazi-Regime gutgeheißen und auf die eine oder andere Art unterstützt. Darüber gesprochen wurde zu Hause nicht, Krieg gab es nur in Form von Abenteuer- oder Leidensgeschichten – der Deutschen.  Antisemitismus und Rassismus waren keine Themen. Antworten auf meine Fragen fand ich außerhalb der Familie und sehr häufig in der Literatur. Ich begriff, dass Literatur die Augen für Lebenswelten öffnen kann, die man sonst vielleicht nie kennenlernen würde.

Als Jugendliche wollte ich noch wie Albert Schweizer sein: Medizin studieren und armen Menschen helfen. Doch kaum hatte ich mit dem Studium begonnen (1966), geriet ich in den Strudel der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen der Studentenbewegung, was ich sehr viel spannender fand als das Pauken von Naturwissenschaften. Ich kehrte also der Medizin den Rücken und studierte stattdessen Pädagogik an der PH Berlin. Damals konnten wir unsere Studieninhalte weitgehend selbstbestimmen, hatten Professorïnnen, die uns in unserem Bemühen, die Welt verstehen und verändern zu wollen, unterstützten. Aus dieser Zeit habe ich sehr viel mitgenommen, wir haben so viel gelernt! Aber ich habe auch gemerkt, dass die praktische Arbeit mit Kindern nicht ganz so meins ist. Also wollte ich mit meinem Wissen jene unterstützen, die mit Kindern arbeiteten, und – in Erinnerung an meine eigenen Literaturerfahrungen -, gründete ich gemeinsam mit anderen den Kinderbuchladen Kreuzberg, in dem wir ausgewählte, gesellschaftskritische Kinder- und Jugendbücher anboten. Zehn Jahre lang arbeitete ich in dem Kollektiv, habe Bücher zusammengestellt, Empfehlungen ausgesprochen, Kritiken geschrieben, mich um Kundschaft gekümmert. Dann fing ich langsam mit Übersetzungen und eigenen Texten an und verabschiedete mich Ende ’85 in die Freiberuflichkeit.

 

Was kann jede/r von uns selbst zu einer friedlicheren Welt beitragen?

Ich denke, die Weg-Ziel-Debatte ist ein wichtiger Faktor: Ich sollte mich täglich vergewissern, ob mein Handeln mit meinen Werten zu vereinbaren ist. Das sollte man im Grunde bei jedem Schritt, den man macht, reflektieren.

Und es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir gesellschaftliche Wesen sind. Niemand kann alleine existieren. Wir müssen uns gemeinsam darüber auseinandersetzen, wie wir miteinander leben wollen, was uns wichtig ist, und müssen neue Formen gemeinsamer Entscheidungen für unser Zusammenleben finden. Alle vier, fünf Jahre individuell unsere Stimme für eine Partei „abgeben“ reicht nicht.

Vielen Dank für das wunderbare Gespräch!