WerteJahr: Würde
„Würde“ ist ein großes Wort. Jeder von uns hat eine – und je nach Lebenslage ist sie ziemlich dehnbar und flexibel. Sie wird immer wieder auf die Probe gestellt und muss viel aushalten. Das zeigt: Würde ist kein starrer Begriff sondern bei genauer Betrachtung sogar ein enorm vielschichtiges Gut. Es lohnt sich, die Würde sehr genau unter die Lupe zu nehmen und sich intensiv mit ihr zu befassen.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Der Satz ist nicht umsonst im ersten Paragrafen des Grundgesetztes verankert. Die Tatsache, dass die „Würde“ an oberster Stelle im wichtigsten deutschen Gesetz steht, ist die Folge der unsäglichen Verhältnisse des Faschismus: Das Nazi-Regime hat sehr gründlich gezeigt, was Würde bedeutet, und wie man sie im Zweifelsfall nicht nur mit Stiefeln treten sondern sie auch zermalmen, wie man sie Menschen und Gemeinschaften aberkennen und vernichten kann – und wie man gleichzeitig so tun kann, als ob man selbst noch ein würdevolles Wesen wäre. Dazu passt das Zitat des chinesischen Gelehrten Konfuzius (551 – 479 v. Chr.): „Der edle Mensch ist würdevoll, ohne überheblich zu sein. Der niedrig Gesinnte ist überheblich, ohne würdevoll zu sein.“

„Würde ist ein inneres Leuchten. Ein Glanz der Seele. Unberührbar.“
Gerd Peter Bischoff (*1949), Schriftsteller
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, wie bunt und vielfältig Würde sein kann, und wie schwer der Versuch einer einzigen Definition fällt. Ein Blick in den Duden hilft. Da wird die Würde zunächst definiert als „Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt“. Es gibt also zunächst die menschliche, persönliche Würde. Man soll die Würde einer Patientin, eines Sterbenden achten, darf nie jemandes Würde verletzen, antasten, angreifen oder einen Menschen in seiner Würde verletzen. Schon hier sehen wir: Würde ist zu einem ganz großen Teil ein sehr intimer Begriff, den jeder Mensch für sich selbst definieren muss.
Damit sind wir laut Duden beim „Bewusstsein des eigenen Wertes“ und einer und dadurch bestimmten Haltung. Man kann eine steife, natürliche Würde haben, natürliche Würde ausstrahlen, sollte sich seine Würde so weit wie möglich immer wahren und beispielsweise etwas mit Würde oder voller Würde ankündigen. Deshalb kann es auch „unter jemandes Würde“ liegen etwas zu tun, was andere Menschen täglich verrichten oder es „unter aller Würde“ finden, beispielsweise in einer Behausung zu wohnen, die andere Menschen vielleicht durchaus akzeptabel fänden.
„Menschenwürde erlebt bewusst die Einzigartigkeit von Einsamkeit als Quelle für das ebenso bewusste Miteinander.“
Raymond Walden (*1945), Kosmopolit, Pazifist und Autor
Die eigentlich sehr persönliche Würde kann aber auch übertragbar sein auf die nationale Würde eines Staates oder auf die Würde des Alters oder die Würde einer Institution. Und mit bestimmten Titeln, Ämtern, gesellschaftlichen Stellungen und Rängen verbindet sich eine Würde, die man als Mitglied der Gemeinschaft respektieren sollte. Das wirft dann wiederum die Frage auf, ob ein Mensch, der in einer klerikalen Hierarchie zu einem „Hochwürden“ aufgestiegen ist, in der Würdeskala höher steht als ein armer Schlucker, der sein Leben lang genauso gottgefällig lebt.
Kleider, wie beispielsweise Kardinalsroben, „machen Leute“ – und sie verleihen die Aura von Würde. Deshalb erwähnt der Duden noch die äußeren Merkmale, die Würde ausstrahlen und der Umgebung signalisieren sollen: Hier hat sich jemand Würde und Respekt verdient – beispielsweise mit einem Hoheitsabzeichen, einem Titel oder mit Schulterklappen. Ob seine Seele deshalb auch würdevoll ist, zeigt sich – womit wir wieder am Anfang wären – am Handeln des Menschen. Die Millionen Nazis und ihre Schergen haben sich gerne als „Herrenmenschen“ bezeichnet, während sie die Würde von unzähligen Menschen mit Füßen getreten und vernichtet haben. Aber diese selbsternannten Herren zählen wohl zu den würdelosesten Figuren, die die Weltgeschichte gesehen hat.
Womit wir wieder bei der Würde wären, die laut Grundgesetz unantastbar ist: Menschenwürde. Die ist nach moderner Auffassung zum einen der Wert, der allen Menschen gleichermaßen und unabhängig von ihren Unterscheidungsmerkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung oder Status zugeschrieben wird. Sie ist aber auch der Wert, mit dem sich der Mensch als Art über alle anderen Lebewesen und Dinge stellt. Als Rechtsbegriff umfasst die Menschenwürde in der deutschsprachigen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie bestimmte Grundrechte und Rechtsansprüche der Menschen und ist laut Wikipedia „von der umgangssprachlichen Bedeutung des Begriffes Würde zu unterscheiden.“
Aha: Wir haben also eine ganz theoretische Würde und eine praktische. Und die ist wiederum von Mensch zu Mensch in der Selbstwahrnehmung und in der gesellschaftlichen Handhabung unterschiedlich. In manchen Kulturkreisen wie dem indischen Kastensystem ist die Menschenwürde ganz offen je nach sozialem Status völlig unterschiedlich definiert.
„Die Würde“ gibt es also gar nicht? Wir wollen gemeinsam mit Euch den Begriff ein Jahr lang diskutieren und von möglichst vielen Seiten beleuchten. Wir wollen sie mit Leben erfüllen und ihr dabei so viel Respekt entgegenbringen, wie sie jedem Menschen und jedem Lebewesen gebührt.
Wir sind gespannt auf Eure Beiträge dazu!
Jörg Wild
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