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Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren

Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen“, so heißt es in Artikel 1 der Erklärung der Menschenrechte, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1948 verfasste. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde stehen am Anfang des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art 1 GG). Der Staat hat sich verpflichtet, sie zu achten und zu schützen. Die Menschenwürde kommt jedem Menschen zu, allein aufgrund dessen, dass er Mensch ist und unabhängig davon, welche gesellschaftliche Rolle er spielt. Jeder Mensch hat die gleiche unantastbare Würde, unabhängig von seinem Status, seinen Leistungen, egal, ob er arm oder reich, ob gesund oder krank ist. Ein schwerstbehinderter Mensch, der dauerhaft auf Hilfe angewiesen ist, hat die gleiche Würde wie ein Supersportler, Manager oder Universitätsprofessor (vgl. Kasten)

Foto: Jakub Pabis auf Unsplash

Nicht umsonst wurde die Unantastbarkeit menschlicher Würde von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, an den Anfang der Verfassung gestellt. Denn 1949 -als das Grundgesetz formuliert wurde- war die Katastrophe des zweiten Weltkrieges noch im Bewusstsein aller; dieser Krieg hatte gezeigt, dass die Würde des Menschen antastbar ist; ja mehr noch, systematisch zerstört werden kann in der Vernichtung jüdischer Menschen im Holocaust. In der Ideologie der Nationalsozialisten, die sich selbst als „Herrenmenschen“ bezeichneten, waren auch behinderte Menschen, Unpersonen und „unwertes Leben“; und weil nach der Auffassung der Nationalsozialisten behinderte Menschen dem Staat nur unnötig Geld kosteten, wurden viele behinderte Menschen in der geheimen T4 Aktion mit den sogenannten „Grauen Bussen“ in die Tötungsanstalten transportiert wurden. (T4 ist die Abkürzung für Tiergartenstraße 4, die Zentrale in Berlin , wo die Mordpläne der Nationalsozialisten ausgeheckt wurden; NS Euthanasie im 3. Reich – Tiergartenstraße 4 Berlin (ns-euthanasie.de). Daher ist Menschenwürde und deren Wahrung so wichtig und wurde zur Grundlage für die Formulierung der Menschenrechte, die sich in vielen Verfassungen wiederfinden.

Doch auch heute sehen wir, dass die Menschenwürde antastbar ist, dass die Würde des Menschen im Krieg, auf der Flucht oder in Diktaturen mit Füßen getreten wird. Doch schon in unserem ganz normalen Alltag, z.B. im Schulalltag, können wir erleben wie unsere Würde verletzt wird; manche Schüler werden durch Cybermobbing beleidigt, belästigt, manchen wird Gewalt angedroht und andere werden sozial ausgeschlossen. Andere werden diskriminiert wegen ihrer Herkunft, ihrem Aussehen, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Hautfarbe. All das verletzt die Menschenwürde und vermindert das Selbstwertgefühl.

Behinderte Menschen leiden besonders darunter, dass sie oftmals übersehen oder mitleidig angeschaut werden. So fordert der nach einem Gleitschirmunfall querschnittgelähmte Philippe Pozzo di Borgo und sein Pfleger Abdel Sellou“- deren Geschichte durch den Film „Ziemlich beste Freunde“ bekannt wurde – in einem Interview: „Wir, die kaputten Typen, wir wollen nicht euer Mitleid, sondern mit anderen Augen gesehen werden, mit einem Blick, der uns als ganzen Menschen wahrnimmt. Wir sehnen uns nach einem Lächeln, einem Austausch, der uns stärkt, weil er uns sagt, dass es uns gibt und dass Wir wertvoll sind.“ (in: Pozzo die Borgo, Jean Vanier, Cherisey Laurent, „Ziemlich verletzlich, ziemlich stark“, Wege zu einer solidarischen Gesellschaft, München 2012, S.44).

Ein konduktiver Schul- und Therapietag in der Phoenix-Schule
(Foto: © Pfennigparade)

Menschen mit einer Behinderung wollen nicht auf ihre Behinderung reduziert werden, sondern als ganze Menschen gesehen werden. Wertschätzung und Respekt stärken die Würde des behinderten Menschen; denn oftmals werden nicht nur die Potentiale und kreativen Fähigkeiten behinderter Menschen zu wenig beachtet, sondern es wird auch nicht wahrgenommen mit welcher Geduld, Tapferkeit und Mut sie ihren oftmals erschwerten Alltag bestehen. Menschen mit einer Behinderung leiden immer noch darunter, dass sie nicht in gleicher Weise am sozialen und politischen Leben (z.B. kulturellen oder sportliche Veranstaltungen) teilnehmen können und oftmals auf dem ersten Arbeitsmarkt wenig Chancen haben trotz guter Ausbildung.

Wer sich ausgeschlossen fühlt, manchmal auch aufgrund mangelnder Barrierefreiheit, spürt irgendwann die Würde seines Menschseins nicht mehr. Ermutigend ist es, dass es Eltern gibt, die sich für ihr behindertes Kind entscheiden und sich für deren Würde einsetzen trotz mancher Anfeindungen. In manchen Schulen ist zum Beispiel die Solidarität mit Eltern behinderter Kinder ´von Seiten anderer Eltern empfindlich begrenzt, weil der Gedanke vorherrscht, dass das behinderte Kind, den Lernfortschritt der Klasse aufhält. Ermutigend ist auch, dass es Menschen gibt, die zum Anwalt derer werden, die sich aufgrund einer schweren Behinderung , sich selbst nicht äußern können und für ihre Rechte eintreten; und dass es Institutionen gibt, die sich für die Menschenwürde und den davon abgeleiteten Menschenrechten einsetzen und auch politisch aktiv werden.

Jede und jeder von uns kann die Würde von Menschen mit einer Behinderung schützen und unterstützen, indem er diesen auf Augenhöhe begegnet, ihnen Ansehen schenkt, sie wertschätzt und sich dafür einsetzt, dass sie mitmachen können und nicht ausgeschlossen werden. Menschen mit einer Behinderung brauchen kein falsches Mitleid, sondern Gesprächspartner auf Augenhöhe und Respekt. Es hängt immer auch an meinem Menschenbild wie ich Menschen anschaue, ob ich an eine unbedingte immanente Würde glaube, die jedem Menschen qua Menschsein gegeben ist oder ob ich die Menschen nur als Mittel für meine Zwecke sehe und benutze.

„Unsere Würde zu entdecken, also das zutiefst Menschliche in uns, ist die zentrale Aufgabe im 21. Jahrhundert“, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther.

Wenn es uns gelingt und wir uns dabei gegenseitig unterstützen, mehr einander in Würde zu begegnen, werden wir stark – als Einzelne aber vor allem als Gesellschaft.

Text: Gustav Schädlich-Buter, Theologe und Seelsorger in der Stiftung Pfennigparade München

Die inhaltliche Bestimmung und philosophische Begründung der Menschenwürde hat eine lange philosophische Tradition von Cicero bis Sartre. Die religiöse Begründung der menschlichen Würde ging davon aus, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist. Dadurch wurde die Menschenwürde mit etwas Sakralem und Heiligem in Verbindung gebracht. Da aber nicht alle Menschen religiös sind, wurde die Begründung der Menschenwürde des Philosophen Kant besonders einflussreich. Dieser sagte, dass jeder Mensch einen Zweck und Wert in sich selbst hat und nicht darin, welchen Nutzen oder Vorteil er mir bringt.