Die Würde zurückerobern
Hilfe gegen digitale Gewalt ist möglich! Interview mit HateAid-Mitarbeiter Ulli Grießhammer
PNJ: Hass gibt es schon vermutlich seit es Menschen gibt. Was ist neu an den Auswüchsen des digital verbreiteten Hasses?
Ulli Grießhammer: Hass war schon immer mies. Aber die Dinge, die man bei digitalem Hass leicht übersieht, sind die Verbreitung und die Beständigkeit. Das ist ein Hass, den jeder lesen kann – überall auf der Welt. Und er ist beständig: Man bekommt das nicht mehr los, wenn man sich nicht selbst aktiv darum kümmert, dass diese Dinge gelöscht werden und wieder verschwinden.
PNJ: Was trifft Menschen besonders, die von digitalem Hass betroffen sind? Die Anonymität der Absender? Die Hilflosigkeit? Die beinahe-Unlöschbarkeit?
Ulli Grießhammer: Alle diese drei Dinge werden überschätzt, denn die meisten Hasstaten passieren gar nicht so anonym wie man immer denkt. Man erwischt die Täter, wenn man das möchte und sie anzeigt. Wir haben eine relativ hohe Aufklärungsquote und kommen den Tätern auch hinterher. Wir finden die! Viele hassen ja auch unter ihrem Klarnamen. Man kann viele Kommentare löschen, wenn man hinterher bleibt – und da sind wir ganz gut drin. Die Hilflosigkeit übermannt Betroffene natürlich im ersten Augenblick. Es hilft hier total, sich an unsere Beratung zu wenden!
PNJ: Wie läuft in der Regel ein typischer Hass-Shitstorm ab?
Ulli Grießhammer: Die ganz großen Hasskampagnen und Shitstorms kommen nachweislich zu einem großen Teil von rechts, sie sind gesteuert und organisiert und im Hintergrund orchestriert. Es gibt Gruppierungen, manchmal sogar Einzelpersonen, die ein Ziel auswählen, und dann gibt es Follower, die diesen Hass verbreiten – zum Teil mit vielen Fake-Accounts. Dann erscheint so eine Kampagne viel größer, als es die Gruppe ist, die dahinter steckt.
PNJ: Kübelweise über einem Menschen ausgeschütteter Hass nimmt einem Menschen ein riesiges Stück seiner Würde. Was raten Sie, damit die Würde nicht völlig den Bach runter geht?
Ulli Grießhammer: Hass im Netz ist oft entwürdigend, aber man kann sich seine Würde auch zurückerobern. Zum Beispiel indem man sich wehrt. Entweder direkt in der Kommentarspalte durch Gegenrede, sich Hilfe suchen, durch eine Löschung oder eine Anzeige. Darin liegt für mich auch ein wichtiger Unterschied: Wenn Dir ein Kommentar deine Menschenwürde abspricht, dann ist es Hass und keine Meinung oder Kritik mehr.
PNJ: Wie kam es zur Gründung von HateAid 2018?
Ulli Grießhammer: Wir und Personen, die uns nahe stehen haben die Erfahrung gemacht: Wenn ein großer Shitstorm passiert, ist man oft sehr alleine. Es gibt niemanden, der sich damit auskennt, der das versteht, und der einem Tipps geben und einem weiter helfen kann. Deshalb wollten wir mit ein paar Betroffenen ein System schaffen, mit dem man sich gegenseitig unterstützen kann, und wo man auch Hilfe erfährt, wenn man sich rechtlich wehren möchte.

Foto: Andrea Heinsohn Photography
PNJ: Was sind es für Menschen, die Sie beraten. Wir wissen von prominenten Klienten wie Renate Künast und Fridays-for-Future-Aktivistin Lisa Neubauer – aber die Mehrzahl sind ja wohl ganz normale Zeitgenossen, oder?
Ulli Grießhammer: Bei uns meldet sich eine große Bandbreite an unterschiedlichen Menschen. Das sind neben den Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oft ganz normale Personen, die komische Dinge im Internet erleben und uns bitten, das einzuordnen, oder die sich generell Tipps geben lassen möchten. Wir haben durchschnittlich 20 Personen pro Woche, die sich bei uns melden. 1.000 Menschen pro Jahr. Übrigens: Wir benutzen gerne den Begriff „digitale Gewalt“, weil er den Betroffenen die Definition überlässt. Wenn sich ein Erlebnis wie Gewalt anfühlt, dann kann man sich bei uns melden.
PNJ: Was sind „alltägliche“ Probleme, mit denen Hass-Opfer auf Sie zukommen?
Ulli Grießhammer: Eine „Alltagsfrage“ gibt es gar nicht. Alle Fälle sind verschieden. Das reicht von Hassnachrichten im Instagram-Postfach über Angriffe für Äußerungen oder Artikel. Das passiert per E-Mail oder Messanger-Dienst. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
PNJ: Was können Sie als Organisation tun, um Opfern konkret zu helfen?
Ulli Grießhammer: Vier Dinge bieten wir Betroffenen an: Wir schauen immer, ober derjenige eine emotionale Stabilisierung braucht. Hilfslosigkeit, Scham und solche Gefühle müssen erstmal einsortiert werden. Dann bieten wir eine Sicherheitsberatung. Denn gerade wenn Adressdaten rausgegangen sind, ist oft nicht klar, ob diese Person noch sicher ist oder sich dort sicher fühlt, wo sie ist. Der dritte Schritt ist eine Kommunikationsberatung. Denn viele Menschen wollen auf die Sache reagieren. Wir helfen dabei, herauszufinden, welche Handlungsmöglichkeiten man hat und welche mal nutzen möchte: Antworten, Löschen, Ignorieren, Anzeigen, … Außerdem bieten wir in ausgewählten Fällen auch Prozesskostenfinanzierung an.
PNJ: Welche Rolle spielt die Internetplattform Telegram, was sind andere wichtige Hass-Foren?
Ulli Grießhammer: Telegram ist natürlich wirklich eine problematische Plattform, weil dort relativ wenig Moderation stattfindet, und weil man relativ schlecht an Täterdaten kommen kann. TikTok ist auch sehr schlecht beim Beauskunften. Vor allem die großen Plattformen – Facebook, Youtube, Instagram – sind in den letzten Jahren immer auskunftsfreudiger geworden. Wenn man hier etwas anzeigt, bekommen die Strafverfolgungsbehörden relativ gut Informationen über Täterinnen. Aber es gibt so viele Plattformen – erst letzte Woche hatten wir einen Vorfall auf einer „Facebook-ähnlichen Plattform für Rentnerinnen“.
PNJ: Jugendliche sind häufig digitalem Mobbing ausgesetzt – ist das eine besondere Form von Hass, mit dem Sie zu tun haben?
Ulli Grießhammer: Wir vermeiden den Begriff Mobbing, weil er zu unspezifisch ist. Aber digitale Gewalt passiert natürlich Jugendlichen genauso wie Erwachsenen.
PNJ: Werden jugendliche Opfer von digitalen Hass-Kampagnen überhaupt ernst genug genommen?
Ulli Grießhammer: Es gibt Organisationen, die Jugendliche genauso ernst nehmen wie Erwachsene – das gilt besonders für Betroffenen-Organisationen. Ich habe das Gefühl, dass Jugendliche von polizeilicher Seite oft wenig ernst genommen werden – aber das passiert auch vielen anderen Opfern von digitaler Gewalt. Solche Vorfälle werden leider immer wieder von der Polizei abgetan, weil man die Bedeutung für die Betroffenen nicht versteht.
PNJ: Den Gang zur Polizei scheuen Hass-Opfer oft, Jugendliche ganz besonders. Was raten Sie?
Ulli Grießhammer: Überwindet die Scham und die Scheu und tut es trotzdem, denn es ist total wichtig, solche Dinge anzuzeigen. Die Polizei und damit der Staat muss mitbekommen, dass es hier ein Problem gibt und das klappt nur über Anzeigen. Das geht übrigens in fast allen Bundesländern auch online: Ich kann eine Anzeige von zuhause am PC aus machen und muss nicht selbst zur Polizei gehen.
PNJ: Wie können Sie jugendlichen Opfern von Digital-Hass Mut machen?
Ulli Grießhammer: Ich fände es toll, wenn junge Menschen das Internet wieder als Ort für Austausch und Zusammenkommen erleben. Im Moment gibt es viele Menschen, die sich nicht trauen, im Internet ihre Meinung frei zu sagen. Deshalb: Holt Euch das Netz zurück! Und wie gesagt, man kann Täter schnappen und Hass-Posts löschen lassen. Wenn was ist: Meldet euch, wir sind da!
Interview: Jörg Wild

HateAid gGmbH
Die gemeinnützige Organisation HateAid gGmbH wurde 2018 gegründet und bietet Unterstützung für Betroffene von digitaler Gewalt an: Prozesskostenfinanzierung, emotional stabilisierende Erst-, Sicherheits-, und Kommunikationsberatung. Das kleine Team um Gründungsgeschäftsführerin ist Anna-Lena von Hodenberg berät dabei Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet. Im Rahmen des Landecker Digital Justice Movements führt HateAid Grundsatzprozesse gegen Online-Plattformen, um grundlegende Nutzerrechte gerichtlich klären zu lassen.
www.hateaid.org
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