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Ohne Gewalt! Mit Würde!

Ellen Heimes über die viel zu oft missachtete Würde von Kindern

Der Umgang mit Kindern muss immer auch ihre Würde im Blick behalten – denn die haben sie genauso wie wir Erwachsenen. Das ist gar nicht so einfach, wie wir uns das wünschen und fordert uns immer wieder.

Kinder brauchen für ein gesundes Aufwachsen einige gelingende Faktoren. Dazu gehören zum Beispiel Zuwendung, Nahrung, Kleidung und Wohnung. Vor allem brauchen Sie aber das unverbrüchliche Gefühl, dazu zu gehören und sich entwickeln zu dürfen. Leider gibt es Kinder, die unter schlechten oder sogar schädigenden Bedingungen aufwachsen müssen.

Foto: Bekah Russom auf unsplash

Warum brauchen Kinder vor allem Zugehörigkeit und Wachstum? Sie können nur im bedingungslosen Dazugehören zu anderen Menschen eine gesunde Identität entwickeln und ihren eigenen Wert erleben. Nur im positiven Erleben können sie in der Folge auch auf diesen Wert vertrauen (Selbstvertrauen). Weiterhin können Kinder in der Entwicklung ihrem eigenen Impuls Raum geben und sich als selbstwirksam erleben. Der Wert dieser beiden grundlegenden Erfahrungen ist die Würde eines jeden Menschen.

Kinder sind im Aufwachsen von den sie umgebenden Erwachsenen abhängig und sie erleben sich selbst oft als ohnmächtig. Die Großen sind die Mächtigen, die alles bestimmen: das Essen, die Kleidung, die Schlafenszeit und den Tonfall der Gespräche.

Aus Sicht von uns Erwachsenen sind Kinder oft noch unfertig: sie müssen erzogen werden, müssen lernen, müssen selbstständig werden usw Daraus lassen sich alle unmöglichen Methoden zur Erziehung rechtfertigen – auch heute noch! Und ein starkes Argument kommt noch dazu: Wir müssen arbeiten! Wir haben keine Zeit! Die Kinder sollen – wie wir selbst auch – funktionieren.

Dabei vergessen wir, dass Kinder bereits von Beginn an komplexe und vollständige Persönlichkeiten sind, denen wir mit demselben Respekt wie uns selbst begegnen sollten. Möchten wir vorgeschrieben bekommen, was wir wann essen? Was wir wann anziehen? Wohl kaum!

Aber, so werden die Stimmen in unserem Kopf umgehend rufen: Kinder wissen so wenig und können die Situationen nicht überblicken! Das stimmt und das Aushandeln eines Kompromisses für alle Beteiligten braucht Zeit und vor allem die Verbindung zur eigenen verletzlichen Ebene in uns drinnen. Zu der Ebene, als wir selbst noch ein Kind waren und ohnmächtig gehorchen mussten. Entscheidungen, die ein Kind nicht möchte, werden ihm weniger schaden, wenn sie im Verstehen durchgesetzt werden, dass sie eine Grenzüberschreitung darstellen und das Kind aus seiner Sicht zu Recht protestiert.

Wir werden es vermutlich nicht schaffen, unsere Kinder gewaltfrei zu behandeln. Dabei ist dies so wichtig und ein Grundrecht, denn jede Form der Gewalt, egal ob körperlich oder seelisch, ist eine Form der Ausgrenzung und bricht das Vertrauen der Kinder in die Erwachsenen und in sich selbst. Die Ausgrenzung behindert die Entwicklung des Selbstwertes und damit das gesunde Aufwachsen von Kindern.

Wir werden es vermutlich so lange nicht schaffen, unsere Kinder gewaltfrei zu erziehen, wie wir uns selbst nicht mit ausreichend Respekt begegnen und behandeln. Denn wie sollen wir gut für andere sorgen, wenn es uns selbst so schlecht gelingt? Auch auf diese Herausforderung finden wir Antworten und hilfreiche Methoden, wenn wir uns selbst mit dem Schmerz und der Trauer der nicht erlebten Würde in unserer Kindheit beschäftigen und zulassen. Diese Verbindung zur früheren, eigenen Ohnmacht ist ein wesentlicher Schlüssel, um Kindern nicht machtvoll sondern auf Augenhöhe zu begegnen.

Text: Ellen Heimes


Ellen Heimes ist Wirtschaftswissenschaftlerin, seit vier Jahren Geschäftsführerin des Kinderschutzbund Bonn und selbst Mutter von vier Kindern. Die Bekämpfung von Kinderarmut und die Verbesserung der Startchancen von Kindern sind Schwerpunkte ihrer Arbeit.