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Der Verein UN Women

Im Rahmen des Würde-Workshops haben gleich mehrere Teilnehmerinnen mit dem Thema „Gewalt an Frauen“ beschäftigt. Den Besuch bei UN Women in Bonn haben Sevinç Onart, Merle Klingenberg und Susan Urbanek unabhängig voneinander und in unterschiedlichen Weisen textlich verarbeitet.

Nicht hingesehen oder mangelndes Bewusstsein?

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Ein Artikel von Sevinç Onart

Frauen werden immer noch hinter verschlossenen Türen geschlagen oder auf der Straße begrabscht. Im Jahr 2021 erlebten laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 115.342 Frauen Gewalt in einer Partnerschaft. Sehen wir diese Opfer wirklich nicht oder schauen wir nur nicht richtig hin? Und was passiert, wenn wir auf offener Straße einen Angriff mitbekommen? Wissen wir in solch einer Situation, was zu tun ist? Antworten auf diese Fragen gibt der Verein UN Women Deutschland.

UN Women Deutschland setzt sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung von Frauen ein. Neben der Öffentlichkeitsarbeit für diese Themen arbeitet der unabhängige Verein aktiv daran, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu beenden. Lena Trilsbeek und Bettina Jahn sind Mitarbeiterinnen des UN Women Deutschlands e.V. und geben Einblicke in ihre Arbeit im Verein. Die beiden Frauen bemühen sich vor allem darum, ein Grundbewusstsein für Gewalt zu schaffen. Wichtig sei in erster Linie, zu verstehen, wo Gewalt anfängt und endet. So seien sich viele Frauen gar nicht richtig bewusst, dass sie bei einer begrabschenden Hand Gewalt erfahren.

Alle Meschen sensibilisieren

Wenn man unmittelbar Gewalt mitbekommt, beispielsweise durch laute Schreie aus dem Nachbarhaus, oder bei einer direkten Begegnung mit einem gewalttätigen Konflikt auf offener Straße, sollte man jedenfalls die Polizei rufen. Allein auf die Situation aufmerksam zu machen, könne helfen. Bei dem Entgegentreten gegen Gewalt an Frauen sei es vor allem wichtig, Männer miteinzubeziehen, denn diese seien nicht nur potenzielle Täter, sondern auch handlungsfähige Verbündete. Daher versuchen die Mitglieder von UN Women Deutschland, männliche Kollegen in ihre laufenden Projekte einzubeziehen und ein echtes „Empathie-Gefühl“ in ihnen zu wecken. Das bekannteste Projekt des Vereins ist die „Orange the World“-Kampagne, die dazu auffordert, eine solidarische Hand gegen Gewalt zu heben. UN Women Deutschland setzt hierbei die nationalen Aktionstage der weltweit seit 1991 existierenden Kampagne um. Sie läuft jährlich vom Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte.

Die engagierten Frauen wünschen sich auch eine bessere Berichterstattung in den Medien. Eine Gewalttat könnte beispielsweise durch die Nutzung einer aktiven Formulierung sachgerecht dargestellt werden. Insbesondere die Verharmlosung der Gewalttat durch die übermäßige Darstellung etwaiger Hintergrundmotive sollte in der Berichterstattung vermieden werden. Viel zu schnell wird über ein „Ehedrama“ berichtet, anstatt den Mord an einer Frau in den Mittelpunkt zu rücken.

Lobby für Hilfe

Der Verein gestaltet durch seine Lobbyarbeit auch auf politischer Ebene mit und stellt konkrete Forderungen an die Bundesregierung. So fordert UN Women zum Beispiel die vollständige, konsequente und schnelle Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention, damit alle Frauen und ihre Kinder vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt werden und gesicherten Zugang zu Hilfesystemen haben.

Eines der Hilfesysteme ist eine Notfallnummer: Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, können Hilfe und Beratung auf 15 verschiedenen Sprachen erhalten, unter dem Nothilfetelefon 08000 116016 (www.hilfetelefon.de). Der Verein macht auch Lobbyarbeit für weitere Aktionen, die Frauen schützen können. Aus einer Kampagne des Frauennotrufs Münster ist beispielsweise der Code „Ist Luisa da?“ entstanden. Wenn eine Frau in einem Club oder in einer Kneipe belästigt wird, kann sie das Personal durch diesen Satz um Hilfe bitten

Ob Gewalt nun in einem geschlossenen Raum passiert, wo wir es nicht sehen, oder auf der Straße, wenn eine Frau begrabscht wird: Wichtig ist, dass wir alle unsere Augen offen und die Ohren gespitzt halten und Hilfe rufen. Nur so können wir gemeinsam Gewalt stoppen.

Ein Mann tötet seine Partnerin.

Ein Kommentar von Susan Urbanek

Es dauert nicht lange, bis sich die Schlagzeilen überschlagen. Frau ermordet und Liebes- oder Familiendrama titeln die Nachrichten und verschleiern damit den Kern der Geschehnisse. Der Partner hat aktiv seine Patnerin ermordet. Sie ist nicht ganz zufällig einer privaten Streitigkeit zu Opfer gefallen. Deswegen werden die Stimmen aus verschiedenen Ecken der Gesellschaft immer lauter, den Begriff Femizid für solche Taten zu nutzen. So verkündet Lisa Paus, Bundesfamilienministerin, öffentlich: „Ich nenne diese Taten Femizide. Denn diese Frauen werden getötet, einfach weil sie Frauen sind“, und erklärt damit 2022 nochmal, was die World Health Organisation (WHO) schon 2012 definiert: „Unter Femizid versteht man im Allgemeinen die vorsätzliche Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Weiter gefasst schließt die Definition alle Tötungen von Frauen oder Mädchen ein.“

Doch angenommen, alle Medien würden sich auf wundersame Weise einig, sprächen ausschließlich von Femiziden. Wo stünden wir dann? Zunächst würde ein öffentliches Bewusstsein für das Problem geschaffen werden. Doch für die Statistiken bleiben die getöteten Frauen trotzdem nahezu unsichtbar. In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts (BKA) tauchen sie in der Kategorie Straftaten gegen das Leben auf oder besser unter. Jetzt mag der ein oder andere die Unsichtbarkeit widerlegt sehen, doch durch die Zusammenfassung einer Vielzahl an Delikten gehen Informationen verloren. So geht aus der PKS des Jahres 2021 auch nicht hervor, dass von insgesamt 2.161 Fällen von Mord (643), Totschlag (1.447) und Körperverletzung mit Todesfolge (71) fast 2 % Femizide sind. Hört sich diese Zahl zunächst wenig an, werden aus zwei Prozent in Relation gesetzt dann konkret: Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau allein durch die Hand ihres (Ex-)Partners.

Seit 2015 veröffentlicht das BKA eine zusätzliche kriminalistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt mit solchen Zahlen. In dem Dokument wird Gewalt in Partnerschaften eingehender beleuchtet, mitunter auch die Tötung von Partner:innen. Es fällt auf, dass knapp 90 % der Opfer partnerschaftlicher Gewalt weiblich sind. Trotzdem existiert das Wort Femizid nicht einmal in dem veröffentlichten Dokument. Das Problem, das sich so offensichtlich in den Zahlen niederschlägt, wird weder eindeutig beziffert noch benannt.  Aufmerksame Leser:innen haben an diesem Punkt sicherlich bemerkt, dass diese Zahlen zu Femiziden ebenfalls vom BKA stammen und sehen das ursprüngliche Argument der Unsichtbarkeit immer mehr auf tönernen Füßen stehen. Die Gegenüberstellung einer gesonderten Auswertung und der PKS ist jedoch wie Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen.

Die PKS ist die primäre Quelle für Informationen zu Kriminalität, da sind sich sowohl Bundeskriminalamt-Mitarbeiter Cristoph Birkel als auch die Kriminologen und Juristen Derin & Singelsetein in ihren Veröffentlichungen einig. Wie jedes Jahr im November wird die PKS auch in diesem Jahr mit Spannung von Journalist:innen und vor allem von Politiker:innen erwartet. Diese Priorisierung der PKS gegenüber anderen Kriminalstatistiken zeigt sich weiterhin darin, dass Politiker:innen von Bund und Ländern die Zahlen, oder besser von Ihnen sorgfältig kuratierte Zahlen, gerne nutzen, um politische Maßnahmen zu rechtfertigen. Doch neben dem Ausgangspunkt für irrsinnig lange Argumentationsketten von Politiker:innen werden die Zahlen vor allem zum Anlass für kriminalpolitische, präventive Maßnahmen genutzt. Damit verschiebt sich nach jeder Auswertung der Fokus, Brennpunkte werden erkennbar. Es könnten Hilfeangebote für Frauen eingerichtet werden, es könnte Aufklärungsarbeit geleistet werden, doch es bleibt bei könnten. Denn die Frauen, die partnerschaftlicher Gewalt zum Opfer fallen, bleiben unsichtbar. Dabei wären die eben genannten Zahlen doch Grund genug, kriminalpolitisch zu intervenieren. Doch ohne Namen, ohne Zahl in der PKS bleiben Femizide ein Paradoxon: Sie finden inmitten der Gesellschaft statt und bleiben doch zugleich unter dem Radar.

Mit grell-orangefarbenen Bannern und vielen Helfer:innen soll die Kampagne Orange the world helfen, dieses Dilemma zu beenden. Die seit 1991 wiederholt stattfindende Kampagne, von UN Women initiiert, fordert: Stopp Gewalt gegen Frauen. Am Mainzer Theater, einem der Aktionspunkte der Kampagne, zeichnet sich ein ganz typisches Bild ab. Nicht nur, dass die Aktivist:innen mit dem Weihnachtsmarkt, der etwas hinter Ihnen leuchtet, konkurrieren. Sondern auch Passant:innen weichen aus, winken ab oder wollen sich schlicht die vorweihnachtliche Stimmung nicht verderben lassen. Neben all diesen Unwägbarkeiten werden Aktivist:innen zunehmend belächelt. Im gesellschaftlichen und politischen Diskurs steht man Protestaktionen kritisch gegenüber, fragt sogar, was soll das bringen? Doch ein Paradebeispiel für den Erfolg solcher zielorientierter Proteste lässt sich sogar in der PKS selbst finden.

Zwischen den Jahren 2010 und 2016 ist eine relativ konstante Anzahl der Sexualstraftaten in den Daten der PKS zu erkennen. Von dem Jahr 2016 auf das Jahr 2017 ist dann jedoch ein deutlicher Anstieg zu beobachten. Dieser ist in zeitlichem Zusammenhang mit der Einführung der sogenannten „Nein heißt Nein-Lösung“ zu betrachten. Das Gesetz beschreibt, dass bereits eine mündliche Absage des Opfers den Sexualverkehr strafbar macht und ist aus wochenlangen Protesten und medialer Aufmerksamkeit hervorgegangen.

Zusammengefasst in der konstruktivistischen Kriminalitätstheorie von Scheerer und Hess zeigt sich, dass sowohl Medien, Interessenvertreter:innen als auch Politiker:innen eine tragende Rolle bei der Definition von Kriminalität zukommt. Denn in letzter Konsequenz kann die Zuschreibung als „kriminell“ von diesen Akteur:innen dazu führen, dass ein neuer Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird und eine Handlung kriminalisiert wird. Wenn eine bekannte politische Figur wie Lisa Paus sich dem Thema Femizid annimmt, die WHO Femizide benennt und selbst wenn Aktivist:innen jemanden von uns auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt ansprechen, kann dies alles dazu beitragen, dass Femizide Teil des Strafgesetzbuchs werden und in letzter Konsequenz präventive Maßnahmen zum Schutz von Frauen ergriffen werden können.

Bist du selbst betroffen von Gewalt? Hier findest du Hilfe!

Gewalt gegen Frauen – bundesweites Hilfetelefon

(0800) 01 16 016 (24 Stunden am Tag besetzt)

Gewalt an Männern – bundesweites Hilfetelefon

(0800)1239900

Sprechzeiten Mo-Do: 08-20 Uhr

Fr: 08-15 Uhr

Gewalt gegen Frauen – UN-Women

Ein Artikel von Merle Klingenberg

Alle 45 Minuten ist eine Frau körperlicher Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt. Weltweit wird alle elf Minuten ein Mädchen oder eine Frau durch ihren Partner oder Familienangehörige getötet. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-) Partnerin. Insgesamt ist jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal von psychischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen.

Diese erschreckenden Fakten gehen aus der neuesten kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes hervor und zeigen auf ein Neues, dass Gewalt gegen Frauen leider nichts Seltenes ist, sondern sogar weiter ansteigt. Sie ist eine der am häufigsten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen der Welt. Existentielle Sorgen, Quarantäne und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu Coronazeiten führten in den letzten Jahren zu einem deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt.

Da Gewalt leider kein Einzelfall ist und überall, in ganz vielen verschiedenen Arten ausgeübt wird, kann man von einem strukturellen Problem sprechen. Sie trifft Menschen aller sozialen Schichten und jeden Alters, zuhause, in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder online.

Die am stärksten verbreitete Form der Gewalt ist partnerschaftliche Gewalt. 2021 gab es dabei 143.604 Opfer, davon waren 80,3% weiblich. Weitere Arten der Gewalt sind beispielsweise sexualisierte Belästigungen und Übergriffe, Vergewaltigung, Schläge und Zwangsheirat. Doch Gewalt fängt viel früher an, als die meisten Menschen denken. Gewalt ist alles, bei dem du dich unwohl fühlst! Das können also auch schon Beleidigungen, Demütigungen, Bedrohungen und Einschüchterung sein. Doch egal, ab wann die Definition greift, Gewalt ist niemals in Ordnung! Und sie hat enorme Folgen für das Opfer. Neben den körperlichen Auswirkungen sind dies beispielsweise Schuldgefühle, der Verlust des Selbstwertgefühls sowie Angstzustände und Depressionen.

Das Problem ist vor allem die Verharmlosung von Gewalt. Die Schuld einer Tat wird häufig auf die Frau projiziert. Die Tat wird im Nachhinein beispielsweise damit begründet, dass das Opfer kurze Kleidung getragen oder vorher Alkohol konsumiert hätte. Doch das kann niemals der Auslöser einer Gewalttat sein und das Opfer trägt nie die Schuld, egal, was vorausgegangen ist!

Da Frauen häufig nicht geglaubt wird und sie nicht ausreichend Schutz erhalten, suchen sich viele Opfer aus Angst häufig gar keine Hilfe. Dagegen sollen Initiativen wie das Hilfetelefon gegen Gewalt unterstützen. Unter der Nummer 08000 116 016 findet sich ein deutschlandweites Beratungsangebot für Opfer und Täter, welches 24/7 erreichbar und in 16 Sprachen verfügbar ist.

Auch gemeinnützige Vereinigungen wie UN Women Deutschland sollen helfen, um weiterhin auf die hohe Zahl an Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen und dieser endlich ein Ende zu setzen!

UN Women Deutschland ist eines von insgesamt 12 nationalen Komitees, welche an die UN-Behörde gekoppelt sind. Aufgabe der UN-Landesverbände ist es, die Arbeit der UN-Behörde „UN Women“ zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Stärkung von Frauen durch Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zu unterstützen. Dafür sammeln sie zuallererst Bewusstsein, um dann zu informieren und aktiv zu werden.

Weiterhin gehört Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu den Aufgaben von UN Women Deutschland. Dafür stellen sie auch Forderungen an die Regierung, wie beispielsweise mehr Anreize für mehr Sorgearbeit durch Männer, zum Beispiel durch mehr Elternzeit, sowie gleiche Bezahlung für männliche und weibliche Mitarbeitende.

Weiterhin betreibt UN Women mehrere Kampagnen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Mit der Solidaritätsbewegung HeForShe werden Männer dazu aufgerufen, sich für die Beendigung aller Formen von Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen und Mädchen einzusetzen. Denn auch Männer müssen für die Gleichstellung gewonnen werden.

Zurzeit steht allerdings alles im Zeichen der Farbe Orange. Jedes Jahr zwischen dem 25.11., dem internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, und dem 10.12., dem internationalen Tag der Menschenrechte, läuft die Kampagne „Orange the world“. Unter dem Motto „Stopp Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ machen diese Aktionswochen seit 1991 auf Gewalt aufmerksam. Mit der Farbe Orange möchte man dabei ein Zeichen für Solidarität und die Nulltoleranz gegen Gewalt an Frauen setzen!