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Menschen sind keine Maschinen

Was kann der „erste“ Arbeitsmarkt von den Arbeitsverhältnissen in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung lernen? Im Rahmen des PNJ-Workshops „Würde“ kamen wir mit Beschäftigten des AlexOffice in Köln ins Gespräch und es stellte sich heraus: sehr viel! 

Wir Deutschen leben in einer Leistungsgesellschaft. Wir wollen uns immer verbessern und alles schneller erreichen. Doch dieser stetige Steigerungswunsch kann sich schnell zu Leistungsdruck umwandeln – ein Phänomen, das in unserer modernen Gesellschaft allgegenwärtig ist. Man findet ihn in allen Lebensbereichen, ob Schule, Universität, Arbeit, Privatleben oder Sport. Die technologischen Entwicklungen sind dafür nicht gerade vorteilhaft und führen dazu, dass Menschen sich überfordert fühlen. Geschäftliche Mails werden auch abends noch zu Hause gecheckt, und die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt. Auf Dauer kann Leistungsdruck zu schwerwiegenden Einschnitten in unsere seelische und körperliche Gesundheit führen. Ständiger Stress ist ein Risikofaktor, der zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen führen kann. Laut der Stressstudie „Entspann dich, Deutschland!“ der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 ist jeder Vierte häufig gestresst. Die Hauptbelastungen sind dabei Arbeit, Selbstansprüche und die Angst um Angehörige. 

Mensch im Mittelpunkt

Viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung fühlen sich auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ überlastet. Einige entscheiden sich für eine berufliche Rehabilitation in einer Werkstatt. Darunter versteht man eine Einrichtung zur Teilhabe am bzw. zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Diese Werkstätten bieten denjenigen, die noch nicht oder nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung. 

Ein Beispiel dafür sind die Alexianer Werkstätten. Sie sind Träger für die berufliche Rehabilitation und Wiedereingliederung mit Standorten in Köln und Münster. In Köln gibt es insgesamt acht Standorte. Von einer Gärtnerei über Industrie- und Elektromontage bis hin zu einer Näherei ist für die rund 1.000 Beschäftigten alles dabei. Eine Werkstatt der Alexianer ist die Designwerkstatt AlexOffice in Köln-Kalk. Hier können Menschen mit psychischer Erkrankung in den Bereichen Web-, Grafik- und Printdesign, Illustration, Social Media sowie Foto- und Videographie arbeiten. Der Ablauf ist dabei ähnlich wie in einer Agentur. Von der Konzeption bis zur Fertigstellung werden im AlexOffice Mediengestaltungsaufträge bearbeitet. Dabei wird immer klar mit den Kund*innen kommuniziert, da es sein kann, dass ein Projekt auch mal länger dauert. Ziel der Werkstatt ist es, in Zeiten von Massenanfertigungen ein Zeichen zu setzen. Es geht nicht darum, dass Produkte entstehen, sondern wie. Die Menschen stehen im Vordergrund, und die Wiedereingliederung ins (Arbeits-) Leben soll ihnen so einfach wie möglich gemacht werden. 

Zeit für die Beschäftigten

Dafür müssen neue Beschäftigte erst einmal eine berufliche Rehabilitation in der Werkstatt absolvieren. Diese dauert 27 Monate und besteht aus einem dreimonatigen Eingangsverfahren zum Kennenlernen und einer zweijährigen Berufsbildungsmaßnahme. Hier werden mithilfe von Workshops, Schulungspräsentationen, Lernkontrollen und Arbeitsaufträgen theoretische und praktische Fähigkeiten erlernt. Nach Beendigung der Rehabilitationsphase kann man entweder aus der Werkstatt aussteigen und auf den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren oder geht in den Arbeitsbereich der Werkstatt über. Die Beschäftigten in diesem arbeitnehmerähnlichen Bereich bearbeiten hier täglich vielseitige Mediengestaltungsaufträge, von der Logoentwicklung über das Redesign von Webseiten bis hin zu medienübergreifenden Designsystemen.

Doch die Arbeit ist nicht wichtiger als die Gesundheit! Die „Alexianer“ folgen nicht dem Prinzip Dienst nach Vorschrift und fordern nicht jeden Tag 100 Prozent Leistung ihrer Beschäftigten. „Das einzige, was wir sonst erreichen würden, ist, dass wir uns kaputt arbeiten. Viele Menschen leiden heute unter einem mäßigen, aber beständigen Leistungsdruck, sind selten mit sich und ihrer Arbeit zufrieden, arbeiten häufig etwas zu viel und erholen sich zu selten. Das sollte aber nicht normal sein“, betont eine Kollegin vor Ort. Im AlexOffice wird immer individuell auf die Beschäftigten geschaut. „Falls wir mal keinen kreativen Tag erwischen, gibt es auch praktischere Aufgaben zum Ausgleich.“ Man arbeitet mit Lob als Verstärker und mehr Fürsprache, um ein ruhiges und gesundes Arbeitsklima zu schaffen. Nachmittags gibt es Ausgleichsangebote wie Fußball oder Imkern, um sich auch neben der Arbeit weiterentwickeln zu können. In wöchentlichen Beratungsgesprächen, dem sogenannten Wochendialog, werden die Ziele für die Woche, Termine, Wünsche, Vereinbarungen und Feedback besprochen. 

Dieses Prinzip liegt viel näher an einer Work-Life-Balance in der Arbeitswelt. Unternehmen bieten heute auch auf dem ersten Arbeitsmarkt viele Ausgleichsangebote an. Doch der Leistungsdruck wird damit nicht direkt überwunden. Hier können wir von den Job-Anforderungen der Werkstätten lernen. Und wenn schon nicht durch die Arbeitgeber*innen, dann zumindest bei uns selbst Verbesserungen anstoßen: Im Berufsalltag können Betroffene bewusst ihre Arbeitszeiten regulieren und sich ihre Erfolge vor Augen halten. Auch Ablenkung, körperliche Betätigung, Entspannungstechniken wie Meditation und Yoga sowie bewusste Pausen und ausreichend Schlaf helfen, Leistungsdruck zu minimieren.

Mehr Infos unter:

webdesign-grafik-koeln.de

Text: Merle Klingenberg | Fotos: AlexOffice