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Liebe ist Liebe – oder etwa doch nicht?

Ablehnung, Ausgrenzung und Hass – davor haben sich laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts rund 73 Prozent der Jugendlichen aus der LSBTIQ*-Szene vor ihrem ersten Coming-Out gefürchtet. Furcht vor der eigenen Identität – ein Gefühl, welches in Zeiten von „Love is Love“ definitiv keinen Platz finden sollte. Geschuldet sind diese Zahlen den schockierenden Statistiken an gewalttätigen Angriffen auf queere Menschen. Jeden Tag werden in Deutschland mindestens zwei trans- oder homo-feindliche Übergriffe gemeldet. Nicht zuletzt sorgte der brutale Mord an trans-Mann Malte C. auf dem Christopher Street Day (CSD) in Münster für Entsetzten.

Dabei ist Liebe doch Liebe – ganz egal welchen Namen sie trägt oder welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlt, oder etwa nicht? Respekt und Akzeptanz sind offensichtlich auch in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts keine selbstverständlichen Werte. Und obwohl sie in Artikel 2 des Deutschen Grundgesetzes verankert ist, so scheint auch die Freiheit ihre Grenzen zu haben. Privilegiert scheint der Mensch, der zufrieden mit dem biologischen Geschlechtsteil ist, welches ihm von der Natur verliehen wurde, sich vom gegenteiligen Geschlecht angezogen fühlt und auch sonst keine Anzeichen macht, aus dem gesellschaftlichen Normkonstrukt ausbrechen zu wollen. Sie:Er möge in Frieden leben – anders als diejenigen, die nicht von diesem „Glück“ sprechen können.

Projektleiter Dominik Weiss

Aber welche Folgen hat unser intolerantes, ignorantes Verhalten eigentlich und wann ist „normal“ „anders“? Begeben wir uns auf die andere Seite und fragen wir doch diejenigen, die es betrifft. Antworten finden sich hier: im anyway in Köln. Das Jugendzentrum in der Kamekestraße im Belgischen Viertel ist eine Anlaufstelle für hilfesuchende, junge Erwachsene aus der LSBTIQ*-Szene – der Community für Lesben, Schwule, Bi-Sexuelle, Trans*, Intersexuelle und Queere Menschen. Die Mitarbeiter:innen im anyway bringen Jugendlichen das Verständnis entgegen, welches sie in der Schule, in der Ausbildung, im Sportverein, bei Freunden oder auch in der Familie nicht finden können, hören zu und schaffen einen sicheren Raum. Teil des dreizehn-köpfigen Teams ist Dominik Weiss. Der ausgebildete Erziehungswissenschaftler steht den Jugendlichen auf ihrem ganz persönlichen Weg zur Seite und unterstützt, wo er nur kann. Neben der Beratung steht die Aufklärungs- und Bildungsarbeit im Fokus des anyway e.V. Denn um ein gesellschaftliches Umdenken langfristig bewirken zu können, muss das Problem an der Wurzel gepackt werden. Ein Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre bestätigt diese These.

9125 Tage, 219 Tausend Stunden und über 13 Millionen Minuten wurde bereits um die Gleichberechtigung gekämpft, um heute von einer zu mindestens ansatzweisen gerechten Gesellschaft sprechen zu können. Seit Jahrzehnten festverankerte Denkweisen sind hart zu durchbrechen, Menschen bleiben gerne alten Mustern treu und verschließen sich vor neuen Ansichten. Aber dennoch: Es gibt sie, die Fortschritte. Das 1981 in Kraft getretene Transsexuellengesetz, welches Transgendern eine Änderung ihres Personenstands nur durch eine Zwangskastration ermöglichte, wurde schon mehrfach als verfassungs- und menschenrechtswidrig eingestuft und soll daher durch ein echtes Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Die Ehe steht in Deutschland seit 2017 auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu und Transgender und Intersexuelle wurden als fast überall diskriminierte Personengruppen in den Fokus der Menschenrechtspolitik internationaler Organisationen genommen. Auch in der Biologie hat das Wissen über die biologische Komplexität und Vielfalt von Geschlecht zugenommen und das veraltete Schwarz-Weiß-Denken, es gäbe nur „männlich“ oder „weiblich“, ist passé. Die jüngste Debatte rund um das Verwenden von geschlechterneutraler Sprache zeigt: Die Gesellschaft ist bereit etwas zu ändern und wagt die ersten Schritte. Aber die wohl bedeutsamste Entwicklung für die trans-Community liegt fernab von Sprache, Wissenschaft und Biologie – nämlich im Herzen der Gesellschaft. Toleranz und Akzeptanz begegnen uns tatsächlich immer häufiger. Angefangen im alltäglichen Leben bis hin zu bunten Pride-Festen wie der CSD – das Bewusstsein steigt und hat bereits Veränderungen bewirkt. Dank sozialer Netzwerke findet Diversität immer mehr Gehör – insbesondere auch junge Menschen setzen sich aktiv dafür ein, dass die queere Community mehr Zuspruch erhält. Am Ziel sind wir jedoch noch lange nicht. Bei der Entwicklung ist es wie mit der Frage nach der Geschlechtervielfalt – es gibt kein schwarz oder weiß, kein gut oder schlecht und kein ja oder nein. Daher bleibt es einmal an uns allen selbst. Jeden Tag können wir unseren Beitrag leisten, um diese Welt ein bisschen fairer und ein bisschen bunter zu gestalten. Denn am Ende ist und bleibt Mensch gleich Mensch – und daran sollten wir nicht nur am internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie erinnern, der übrigens jährlich am 17. Mai stattfindet.

Text: Lena Gerhard