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„Glück ist das Gegenteil von Gerechtigkeit“

Was die Journalistin Mareice Kaiser beim „Kongress der Gesellschaft“ zu sagen hat

Über Geld spricht man nicht! Mareice Kaiser findet dieses Tabu nicht nur überholt, sondern sogar gefährlich: „Nur wenn wir über Geld sprechen, machen wir Ungerechtigkeit sichtbar. Das ist der erste Schritt für Veränderung.“ Gesagt, getan: Beim „Kongress der Gesellschaft“ hat Mareice Kaiser das Wort. Hier stellen wir dir die in jeder Hinsicht ausgezeichnete Journalistin vor.

Foto: Charlotte Simon

„Es ist wichtig, ungemütlich und unbequem zu sein“, sagte Mareice Kaiser neulich. Ihr Satz galt allen, die sich Gedanken über unsere zutiefst ungerechte Gesellschaft machen, als Ermunterung. Er klang aber auch wie eine treffende Selbstbeschreibung.

Wo andere gerne ein Pflaster draufkleben würden, um die Wunde zu verstecken, legt Mareice Kaiser einen Finger rein. Mindestens. Wer wissen will, wie sich das beim Lesen anfühlt, sollte mit dem Text „Kinderarmut bekämpfen? Wünschenswert, aber nicht möglich“ aus ihrem regelmäßigen Newsletter „Fast Sommer“ anfangen. Wir wissen nicht, ob Christian Lindner den gelesen hat – aber wir wünschen es uns ein bisschen.

Mit derselben Mischung aus Sachlichkeit und Sarkasmus beginnt auch Mareices aktuelles Buch „Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht“. Zunächst spricht sie ganz offen über ihre eigene komplexe Beziehung zu Geld. Dann zeichnet sie in acht einfühlsamen Gesprächen den Blick auf Geld und Gerechtigkeit von sehr armen, sehr reichen und einigen Menschen irgendwo dazwischen nach. Niemand, der dieses Buch liest, kann hinterher behaupten, sich nicht wenigstens an der einen oder anderen Stelle wiedergefunden zu haben.

Genug über Mareice Kaiser gesprochen – wir sprechen lieber mit der Journalistin, Autorin und Moderatorin: Sie ist zu Gast beim „Kongress der Gesellschaft“ auf dem Main in Frankfurt. Welche Blickwinkel auf Geld, Gerechtigkeit und Grundeinkommen sie einbringt, verrät sie uns hier in drei schnellen Fragen:

Mareice Kaiser, warum müssen wir unbedingt über Geld reden?
Mareice: Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft, in der wir mit der Idee der Leistungsgesellschaft großwerden: Wenn du dich doll anstrengst, kannst du auch erfolgreich – mit der Betonung auf reich – werden. Das ist aber Quatsch. Reich sind in Deutschland vor allem ältere weiße Männer ohne Migrationshintergrund aus den alten Bundesländern. Wie viel Geld wir haben, hängt vor allem vom Glück ab, in eine reiche Familie geboren worden zu sein. Sozialer Aufstieg wird immer schwieriger. Wenn wir nicht über Geld reden, nützt das nur den Reichen. Wenn wir über Geld sprechen, machen wir die Ungerechtigkeit sichtbar. Das ist der erste Schritt für Veränderung.

Du beschreibst dich selbst weder als Mensch mit sehr wenig noch mit sehr viel Geld – sondern als irgendwo „dazwischen“. Wie blickst du aus diesem Dazwischen auf Armut und Reichtum?
Mareice: Ich werde häufig als soziale Aufsteigerin beschrieben. Das klingt für mich so „angekommen“. Und das bin ich nicht, weder finanziell noch was den Habitus, also das Auftreten, angeht. Noch immer befinde ich mich oft in Situationen, in denen ich denke: Hier gehöre ich nicht hin. Manchmal wird mir das auch gezeigt. Gleichzeitig bin ich gut darin, nicht aufzufallen – auch wenn das viel Energie kostet. Diese Energie kennen viele Menschen, die Klassenaufsteigerinnen sind. Mein Blick auf Armut und Reichtum hat sich nicht verändert, nur radikalisiert. Menschen, die aufgestiegen sind, erzählen eigentlich immer vom Glück. Glück, eine Mentorin gehabt zu haben, oder eine Tante, die dann doch das Studium finanzieren konnte. Aber Glück ist das Gegenteil von Gerechtigkeit.

Du bist beim Kongress der Gesellschaft mit im Boot. Welche Fragen wirst du dort stellen? Welche Antworten hast du im Gepäck? Und wo wirst du den Finger in die Wunde legen?
Mareice: Fragen finde ich viel wichtiger als Antworten. Wenn es um Geld geht, ist mir besonders wichtig, dass alle mitsprechen können. Überall, wo wir hinschauen, sprechen Menschen mit Geld: in der Politik, in Medien, auf Booten. Aber bei Geld geht es eben auch um Beteiligung, um die Frage: Wer kann dabei sein? Wem wird Teilhabe verwehrt? Und ich möchte über Gerechtigkeit sprechen. Reicht es in einer gerechten Welt, wenn alle gleich viel bekommen? Reicht das, um die Ungerechtigkeit auszugleichen, oder brauchen wir mehr?

Mareice Kaiser
Eine der wichtigsten Stimmen, die sich so ausdrücken, dass auch die Leserschaft ohne Hochschulabschluss folgen kann. Als Arbeiterkind bringt sie wichtige Perspektiven in den Diskurs ein, die dort sonst schmerzlich vermisst werden.
„medium magazin“ zur Auszeichnung von Mareice Kaiser als eine der zehn besten Wirtschaftsjournalist*innen des Jahres 2022

Der hier veröffentlichte Bericht ist im Original im Magazin von „Mein Grundeinkommen“ erschienen. Nach-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Redaktionsteams.